Anna Antonina Łysiak arbeitet seit September 2022 als Projektmanagerin im Referat Ost- und Südosteuropa der Heinrich-Böll-Stiftung e.V. in Berlin. Zuvor war sie acht Jahre lang als Sachbearbeiterin und Koordinatorin eines Förderprogramms für trilaterale Jugendbegegnungen mit der Ukraine im Potsdamer Büro des Deutsch-Polnischen Jugendwerks tätig. Die gebürtige Polin lebt seit über 14 Jahren in Berlin. Anna ist Absolventin der Germanistik an der Universität Wrocław sowie der Fremdsprachenlinguistik an der Universität Potsdam.
Ariana Kravchuk: Liebe Anna, ein großes Dankeschön für deine Teilnahme an diesem Interview. Ich freue mich sehr, dass du heute deine Berufserfahrungen mit unseren Leser:innen teilst!
Du hast Germanistik und Fremdsprachenlinguistik an den Universitäten in Wrocław und Potsdam studiert. Wenn du zurückschaust – wie hat dein Studium dich auf das Berufsleben vorbereitet? Welche im Studium erworbenen Kompetenzen kannst du jetzt im Beruf einsetzen?
Anna Antonina Łysiak: Die ersten drei Jahre meines Germanistikstudiums in Polen waren auf die Ausbildung von Lehrer:innen für Deutsch als Fremdsprache ausgerichtet. Hätte ich diesen Beruf wählen wollen, wäre ich in jeder Hinsicht gut darauf vorbereitet gewesen – nur wusste ich schnell, dass das nicht mein Wunschberuf war. Was ich aus dem ersten Studium in Polen für das Berufsleben mitgenommen habe, war das Wissen um die deutsch-polnischen Beziehungen, welches für die Arbeit am Deutsch-Polnischen Jugendwerk (DPJW) hilfreich war. Das DPJW ist eine internationale Organisation, die auf der Grundlage der Nachbarschaftsvertrages zwischen den beiden Ländern entstand. Im Studium an der Universität Potsdam waren es Kenntnisse aus den Seminaren zu Textlinguistik und Übersetzungsworkshops, die ich in den Arbeitsalltag übertragen konnte. Zusätzlich habe ich Seminarangebote des Career Centers der Universität zum Projektmanagement und Fundraising o. Ä. wahrgenommen. Was mir in beiden Studiengängen gefehlt hat, waren Angebote zur beruflichen Orientierung, die mir diverse Wege hätten aufzeigen können. Die relevantesten praktischen Erfahrungen sammelte ich während zusätzlicher Praktika, die ich aus eigener Initiative gemacht habe, sowie direkt im Job.
Du hast fast acht Jahre am Deutsch-Polnischen Jugendwerk (DPJW) gearbeitet, wo du das Förderprogramm für deutsch-polnisch-ukrainische Jugendbegegnungen koordiniert hast. Wie war dein Weg zu diesem Job? Wie hast du verstanden, dass diese Stelle zu dir passt?
Ich wurde 2014 im Förderreferat für außerschulischen Jugendaustausch im Potsdamer Büro des DPJW als Vertretung für eine Kollegin eingestellt, die in den Mutterschutz ging. Über den JOE-Verteiler erfuhr ich von der Ausschreibung. Zunächst ging es um die Bearbeitung von Förderanträgen für deutsch-polnische Jugendbegegnungen. Ich habe mich im DPJW gut und schnell eingelebt. Als kurzfristig eine zusätzliche Förderung für trilaterale Projekte mit der Ukraine angeboten werden sollte, wurde ich darauf angesprochen, dies zu betreuen. Zum damaligen Zeitpunkt war es unklar, um welchen zeitlichen Rahmen es sich handeln werde, und nun sind insgesamt beinahe acht Jahre daraus geworden, in denen ein komplexes Förderprogramm für trilaterale Jugendbegegnungen mit Ländern der Östlichen Partnerschaft, mit inhaltlichem Schwerpunkt auf die Ukraine, entstanden ist.
Ich wusste, dass der Job zu mir passt, weil ich mich mit der Mission und Vision des DPJW gut identifizieren konnte. Der Aufbau von guten nachbarschaftlichen Beziehungen und die Stärkung der Zivilgesellschaften durch langjährige Partnerschaften und v. a. persönliche Begegnungen von jungen Menschen waren mir immer ein wichtiges Anliegen. Das motivierte mich im Arbeitsalltag sehr und gab mir ein Gefühl von Sinnhaftigkeit, was für mich sehr wichtig ist. Ganz praktisch hat mir auch die Aufgabenstruktur sehr zugesagt, die meist wiederholbaren administrativen Aufgaben gaben dem Tag eine Struktur und halfen dabei, in den Schwung zu kommen. Die inhaltlichen Aufgaben, in denen ich auch vieles selbst gestalten und entscheiden durfte, machten den Arbeitsalltag spannend und abwechslungsreich. Nach vielen Jahren entschied ich mich schließlich, beruflich weiterzugehen; es freut mich aber sehr, dass das TRIYOU-Programm am DPJW, das ich koordiniert habe, fortgeführt wird.
Mit welchen Aufgaben hast du dich im DPJW beschäftigt? Wie sah dein Arbeitsalltag aus?
Die Hauptaufgabe, die den Arbeitsalltag strukturiert hat, war die Bearbeitung von Förderanträgen für Jugendbegegnungen. Das DPJW gehört zu den Förderern, bei denen Anträge laufend gestellt werden können, um einen einfachen Zugang zu Fördermitteln zu ermöglichen. Das bedeutete, dass mich diese Aufgabe das ganze Jahr über begleitet hat – mit dem Unterschied, dass Anfang des Jahres mehr Anträge und in der zweiten Jahreshälfte mehr Abrechnungen eingingen. Zu meinen Aufgaben gehörte eine Rundumbegleitung der Antragsteller von der Erstberatung und Bearbeitung des Antrags inkl. Anforderung eventueller Mängel oder notwendiger Korrekturen auf inhaltlicher oder formaler Ebene, über die Vernetzung, ggf. den Kontakt mit den Botschaften, bis hin zur Ausstellung von Bewilligungsbescheiden, der Bearbeitung von Abrechnungen und Förderungsfestsetzung.
Die Zuschüsse, die ich für die trilateralen Begegnungen bewilligt habe, stammten größtenteils nicht aus dem regulären DPJW-Förderhaushalt, sondern aus einem Förderprogramm des Auswärtigen Amtes (AA). Diese mussten also als Gesamtbudget auch beantragt und abgerechnet werden. Der gesamte Prozess war auf das ganze Jahr verteilt: im Herbst die erste Beantragungsetappe, das Einreichen von Projektskizzen, im Frühling dann die formale Beantragung, während ich die Unterlagen für die Vorjahresabrechnung vorbereitete, welche immer bis Ende Juni eingereicht werden musste.
Einen großen Teil nahm aber auch konzeptuelle und inhaltliche Arbeit ein. Bei Anträgen und Abrechnungen an das AA war ich auf inhaltlicher Ebene zuständig, bei Abrechnungen auch für den finanziellen Teil. Der Beantragung im AA ging immer auch eine Planung der begleitenden Programmarbeit voraus, die anhand der Tendenzen und Entwicklungen im Jugendaustausch im Vorjahr über Berichte und Evaluationen der einzelnen geförderten Projekte von mir erarbeitet wurde. Dieser Prozess nahm einen großen Teil meiner Arbeitszeit im Sommer und Herbst ein.
Ein weiterer Bereich, für den ich zuständig war, war die Konzeption und Umsetzung eigener Projekte des DPJW, die begleitend zum Förderprogramm durchgeführt wurden. Im Laufe der Jahre entwickelten wir ein Gesamtpaket von begleitenden Angeboten für den deutsch-polnisch-ukrainischen Jugendaustausch unter dem Namen TRIYOU, welches nicht nur das Förderprogramm, sondern auch das Jahresforum sowie das interaktive Online-Portal und einiges mehr umfasst. Einige Male im Jahr nahm ich zudem an Konferenzen teil oder vertrat das DPJW bei diversen Veranstaltungen und stellte das Förderprogramm vor.
Bis zum Ausbruch der Pandemie war mein Arbeitsalltag im DPJW immer sehr intensiv – es gab selten Zeiten, in denen weniger los war.
Als du im DPJW begonnen hast, in einem Projekt mit Ukraine-Bezug zu arbeiten, hast du über eine geringe Expertise zum Thema verfügt. Wie hast du sie erworben?
Das ist richtig. Der Bereich der trilateralen Jugendbegegnungen mit der Ukraine gehörte anfangs nur am Rande zu meinen Aufgaben. Generell hatte ich bereits damals Interesse an der ukrainischen Kultur und Literatur und verfolgte die politische Situation; seit 2012 bin ich auch MitOst-Mitglied, was mir auch einen guten Zugang zur Region verschaffen hat. Aber Ukraine-Kompetenz im Kontext der internationalen Zusammenarbeit im Allgemeinen und der internationalen Jugendarbeit im Besonderen habe ich tatsächlich am DPJW erworben.
Dies geschah über Jahre auf mehreren Ebenen. Zum einen teilten die Kolleg:innen, die seit vielen Jahren am DPJW arbeiten, ihr institutionelles Wissen mit mir. Die Zusammenarbeit mit der Ukraine war seit den 1990er Jahren ein wichtiger Bestandteil der Tätigkeit des DPJW; es galt also, auf bisher Dagewesenes aufzubauen und es weiterzuentwickeln. Ich habe auch intensiv daran gearbeitet, Netzwerke zu errichten, um relevante Organisationen und Institutionen, Themenbereiche und Ansprechpersonen in den drei Ländern kennenzulernen, die mit der Ukraine bzw. im internationalen Kontext arbeiten.
Eine große Rolle spielte auch meine Teilnahme an "Ukraine Calling", einer berufsbegleitenden Weiterbildung zur Ukraine-Kompetenz. Es handelte sich um ein Projekt der Europa-Universität Viadrina, der Robert Bosch Stiftung und der Deutschen Assoziation der Ukrainisten, im Rahmen dessen theoretisches, akademisches Wissen mit dem Aufbau von Netzwerken und der Umsetzung von konkreten Projektideen verbunden wurde. Ich nahm an einem Forum zur Situation von Jugendlichen und der aktuellen Jugendpolitik in der Ukraine teil, welches 2017 im Berliner Roten Rathaus stattfand. Im Nachgang der Veranstaltung ist eine umfangreiche Online-Publikation in drei Sprachen entstanden. "Ukraine Calling" half mir, eine fundierte Ukraine-Kompetenz aufzubauen und Kontakte zu knüpfen, die in vielen Fällen noch bis heute bestehen. Bedauerlicherweise gibt es dieses Programm nicht mehr.
Nicht zuletzt erwarb ich auch Sprachkenntnisse des Ukrainischen, hauptsächlich während meiner Teilnahme an den Sommerschulen für ukrainische Sprache und Kultur an der Iwan-Franko-Universität in Lwiw.
Mein Beispiel zeigt deutlich, dass sich konkrete berufliche Interessen und Wünsche der Weiterentwicklung manchmal erst im Job herauskristallisieren können. Aus diesem Grund ist die berufliche Weiterbildung und lebenslanges Lernen ein wichtiges Thema. Es erfordert zwar viel Arbeit und Eigeninitiative, sich in einen neuen Bereich einzuarbeiten und umfassende Expertise aufzubauen. Meistens gibt es aber auch Möglichkeiten, vom Arbeitgeber Unterstützung zu bekommen, sei es in Form von Teil- oder Vollfinanzierung einer Weiterbildung oder durch Beantragung eines Bildungsurlaubes.
Aktuell bist du als Projektbearbeiterin in der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) tätig. Welche Kompetenzen und Fähigkeiten muss man für eine solche Stelle mitbringen?
Als Projektbearbeiterin im Referat Ost- und Südosteuropa der Heinrich-Böll-Stiftung bin ich hauptsächlich für die Ukraine zuständig. Langjährige Erfahrungen im Bereich der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit mit der Ukraine sind hier sehr hilfreich. Mein Interesse an der Ukraine ging immer weit über den Bereich der Jugendarbeit hinaus, jetzt kann ich von entsprechenden Kompetenzen und Netzwerken profitieren.
Das Wissen bezüglich des Zuwendungsrechts des Bundes und der administrativen Abläufe bei Projektdurchführung und Mittelverwendung spielt auch eine große Rolle.
Von Bedeutung sind zudem sehr gute Team- und Kommunikationskompetenzen. Dies schließt die Fähigkeit ein, im Arbeitsalltag effizient zu kommunizieren und alle Ebenen mitzudenken, die bei bestimmten Arbeitsabläufen entsprechend eingebunden werden müssen. Des Weiteren müssen komplexe Workflows erfasst und umgesetzt werden. Fundierte Kenntnisse rund um das Projektmanagement sowie ein gutes Selbstmanagement sind ebenso wesentlich.
Die Kooperation mit der Ukraine, mein Herzensanliegen, ist aktuell eine große Herausforderung. Die HBS hat ein Büro in Kyjiw, die Zusammenarbeit mit dem Team gehört zu meinen Hauptaufgaben. Es ist wichtig, agil zu arbeiten, vieles kann nur kurzfristig geplant werden. Die meisten Kolleginnen sind in der Ukraine geblieben, somit bemühen wir uns, sie von Berlin aus – so gut es geht – zu unterstützen. Es ist uns ein großes Anliegen, in diesen undenkbar schwierigen Zeiten den Kolleginnen eine Stütze zu sein. Es ist ein wunderbares Team, mit dem ich zusammenarbeiten darf, und ich bin stets von der hervorragenden Arbeit beeindruckt, die die Kolleginnen trotz der Umstände leisten.
Du engagierst dich ehrenamtlich im Mentoringprogramm der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), in dessen Rahmen du Frauen beim Übergang vom Studium in den Job unterstützt. Warum ist genau dieser Aspekt für dich wichtig?
Ich wollte mich seit Jahren ehrenamtlich engagieren, hatte aber meistens keine Kapazitäten dafür. Mit dem Mentoringprogramm der DGO fand ich eine Form des Engagements, die für mich zeitlich klar definierbar und umsetzbar ist.
Zwischen den Jobs habe ich bewusst eine Pause eingelegt und selbst an Coaching- und Mentoringprogrammen teilgenommen. Somit habe ich meinen bisherigen beruflichen Werdegang gut reflektieren, aber auch Einblicke in die Rolle einer Mentorin gewinnen können.
Ich kann mich in die Verunsicherung sehr gut hineinfühlen, die der Übergang vom Studium ins Berufsleben mit sich bringen kann und möchte nach Möglichkeit jungen Frauen eine Unterstützung anbieten, die ich selbst damals nicht hatte. Ich teile meine Berufserfahrungen gerne, zeige mögliche Wege auf, vernetze Menschen gerne. Es bereitet mir große Freude zu sehen, wenn es eine Person weiterbringt. Gleichberechtigung ist mir ein wichtiges Anliegen, deswegen möchte ich mich besonders für Frauen engagieren.
Du hast mehrjährige Erfahrung im internationalen Projektmanagement. Welche Vorteile und welche Nachteile siehst du für Berufseinsteiger:innen?
Ich habe den Eindruck, dass es momentan viel mehr Möglichkeiten gibt, beruflich einzusteigen oder erste Erfahrungen in der internationalen Arbeit zu sammeln. Sei es durch bessere Angebote wie bezahlte Praktika, die sich junge Menschen so auch leisten können. Es war zwar nicht mein eigener Weg, aber ich kenne viele Kolleg:innen, die über ein Praktikum den Zugang zum künftigen Job fanden.
Gleichzeitig ist eine Entwicklung zu beobachten, die für Berufseinsteiger:innen sowohl Fluch als auch Segen sein kann: Viele Aufgaben der internationalen Zusammenarbeit werden mit diversen Förderprogrammen umgesetzt. Dadurch entstehen Projektstellen entweder für sehr kurze Projektlaufzeiten oder auch etwas länger, meist für ein Jahr. Das sind wiederum keine Angebote, die für Berufserfahrene attraktiv wären, es sei denn, man besteht darauf, in einem konkreten Bereich zu bleiben oder darin zu wechseln. Ganz grundsätzlich sehe ich in dieser Entwicklung eine gute Chance, in einen Bereich einzusteigen.