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Fußballkultur in der Volksrepublik Polen und der Deutschen Demokratischen Republik

Ein Beitrag von Dariusz Wojtaszyn

 

In den Ländern des Ostblocks hatte der Sport wichtige gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen. Eine seiner zentralen Aufgaben war es, das Erziehungsideal der sogenannten "sozialistischen Persönlichkeit" mitzugestalten sowie das Verhalten und die Weltanschauung junger Menschen im kommunistischen Sinne zu prägen. Der Sport war auch ein Bereich, in dem mit dem Westen konkurriert wurde, was am deutlichsten im Kontext der Olympischen Spiele zum Ausdruck kam.

Eine besondere Rolle spielte dabei die mit Abstand beliebteste Sportart – der Fußball. Diese Bedeutung äußerte sich u.a. im begünstigenden Umgang mit dieser Sportart: Die Ausgaben für den Fußball überschritten häufig die Ausgaben für andere Disziplinen, und die Fußballverbände konnten über eigene, ausgebaute Strukturen verfügen.

Der hohe Stellenwert des Fußballs hatte eine Theatralisierung von Fußballspielen zur Folge. So war man v.a. auf einen reibungslosen und den Erwartungen der Behörden entsprechenden Ablauf bedacht, während spontane, unkontrollierte Reaktionen der Fans unter allen Umständen vermieden werden sollten. Die Steuerung von Fußballveranstaltungen sollte die Akzeptanz des kommunistischen Systems fördern, weshalb jegliche Abweichung von akzeptierten Mustern als besondere Gefahr angesehen wurde, die heftige Gegenmaßnahmen der kommunistischen Parteien in beiden Ländern provozierte. Zur Beherrschung der Stadien wurde daher die wichtigste Waffe im Repertoire der Mittel zur Kontrolle der Gesellschaft eingesetzt: der Staatssicherheitsdienst, der neben der Miliz (in der Volksrepublik Polen) und der Volkspolizei (in der DDR) für die Kontrolle der Spiele und des direkten Umfelds zuständig war. Eine weitere, sehr wirksame Kontrollmethode war das Ticketverteilungssystem. Für die wichtigsten internationalen Spiele konnten echte, vom Spiel faszinierte Fußballfans oft keine Karten kaufen. Dies war insbesondere in der DDR der Fall, wo ein Großteil der Tickets nur an vertrauenswürdige und geprüfte Personen vertrieben wurde.

Daher bildeten sich in beiden Ländern spezifische, unauthentische und künstliche Formen von Anhängermilieus heraus, die ich als "institutionelle Fans" bezeichne. Dazu gehörten Personen, die sich nicht für Fußball interessierten und dennoch zum Spiel geschickt wurden, meist von ihren Arbeitgebern. Während der Fußballveranstaltungen beschränkte sich ihre Aufgabe darauf, das Verhalten authentischer Fans zu imitieren, sich dabei aber nach den Erwartungen der Behörden zu richten und unvorhersehbare, spontane Reaktionen nicht zuzulassen.

Eine weitere Gruppe mit ähnlichen Aufgaben und Strukturen waren die "Fußballtouristen". Mit diesem Begriff aus den Akten des DDR-Sicherheitsdienstes bezeichne ich solche Gruppen von Fans, die die Möglichkeit hatten, Clubs oder Nationalmannschaften zu internationalen Auswärtsspielen zu begleiten. Als die Grenzen geschlossen waren, waren Auslandsreisen ein Privileg, das ausgewählten Mitgliedern der Gesellschaft vorbehalten war. Bei den Mitgliedern dieser Gruppen handelte es sich um positiv rekrutierte Bürger, die außer Landes reisen durften. Die "Fußballtouristen" waren nach bestehenden Richtlinien der staatlichen Behörden zusammengestellt und von der Miliz/Volkspolizei sowie dem Staatssicherheitsdienst gründlich überprüft worden. Interesse am Fußball war dabei nie ein Auswahlkriterium gewesen.

Die künstlich konstruierte Welt des sozialistischen Fußballs berücksichtigte jedoch nicht die spontane Gemeinschaft der Fußballfans, die versuchten, innerhalb des von oben verordneten Gesellschaftssystems einen Raum für Selbstgestaltung und -realisierung zu finden. Die kommunistischen Regierungen in Polen und der DDR reagierten auf jeden Versuch einer bürgerlichen Selbstorganisation mit Panik. Solche Versuche galten als "Schaffung eines negativen Umfelds", das die Legitimität der Behörden und die den Bürgern auferlegte "soziale Disziplin" bedrohte. Für die kommunistischen Machthaber war daher die Struktur der Fanorganisationen besorgniserregend, insbesondere der aus dem Westen übernommene Trend der Fanclubs, in denen sich seit den 1970er Jahren junge Menschen spontan zusammenschlossen, ohne jegliche Kontrolle und unabhängig von staatlichen Institutionen. Die Parteiführung sah in der Selbstorganisation der Fanclubs eine ernsthafte Bedrohung hinsichtlich der Ausübung einer ganzheitlichen Kontrolle über die Bürger. Nach in den Akten des BStU-Archivs enthaltenen Einschätzungen ostdeutscher Stasi-Funktionäre konnte die "unkontrollierte Entwicklung" unberechenbarer Fangruppen dazu führen, dass daraus "Ansammlungen politisch indifferenter oder feindlicher Elemente" wurden. Aus diesem Grunde unternahmen die kommunistischen Politiker zahlreiche Versuche, die Freiheit der Fanclubs zu überwachen und einzuschränken sowie ihre Homogenisierung zu fördern. Jedoch blieben diese Versuche erfolglos.

Schließlich wurde auch den seit den 1970er Jahren in Erscheinung getretenen Fußball-Hooligans die besondere Aufmerksamkeit der staatlichen Behörden zuteil. Die notorischen Ordnungsstörungen, Schlägereien zwischen den Fans und sogar die Auseinandersetzungen mit der Miliz/Volkspolizei, die jedes Wochenende in den Stadien stattfanden, beunruhigten die kommunistischen Machthaber ernsthaft, so dass diese versuchten, um jeden Preis gegen derartige Ausschreitungen vorzugehen. Diese offenen Verstöße gegen die Grundsätze der "sozialistischen Gesellschaftsordnung" führten dazu, dass alle aktiven Institutionen und Organisationen des Landes in den Kampf gegen das Stadionrowdytum einbezogen wurden, insbesondere die Staatsanwaltschaft, die Miliz/Volkspolizei und der Sicherheitsdienst. Durch ihre operative und ermittlungstechnische Erfahrung sollten sie die Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen gewährleisten. Ferner sollte die Einbeziehung des Sicherheitsdienstes in den Kampf gegen die Hooligans einem weiteren Zweck dienen, zumal ein Teil des Verhaltens der Fußballfans als streng politisch und staatsfeindlich interpretiert wurde, was nach Ansicht der Machthaber die Notwendigkeit unterstrich, alle verfügbaren Mittel zum Schutz der Rechts- und Gesellschaftsordnung in beiden Ländern einzusetzen.

Von den Behörden zunächst heruntergespielt und im öffentlichen Diskurs tabuisiert, nahm das Verhalten der Stadion-Hooligans in den 1980er Jahren solche Ausmaße an, dass die Behörden sie nicht mehr ignorieren und die Existenz des Problems weiterhin leugnen konnten. Eine wichtige Zäsur im Kampf gegen die Rowdys war die Tragödie von 1985 im Brüsseler Heysel-Stadion. Die Befürchtung, dass sich ähnliche Ereignisse in einem kommunistischen Land wiederholen würden, hatte eine Verschärfung der Repressionen gegen Hooligans zur Folge. Auch führte die Notwendigkeit, die Richtlinien internationaler Fußballorganisationen zu erfüllen, dazu, dass die Stadien nach und nach im Hinblick auf europäische Sicherheitsstandards erweitert oder modernisiert wurden.

Nichtsdestoweniger brachte der Kampf gegen das Fußballrowdytum nicht die erwarteten Ergebnisse, so dass die polnischen und ostdeutschen kommunistischen Parteien machtlos zusehen und ein Verhalten tolerieren mussten, das unter anderen Umständen Verhaftungen und Gefängnisstrafen nach sich gezogen hätte.

Ergänzt wurden die Aktivitäten der Fußballfans durch offen gegen den Staat gerichtete Aktionen. In den 1940er, 1950er und 1960er Jahren äußerte sich die Abneigung der Fußballfans gegenüber den kommunistischen Behörden v.a. in spontanem Skandieren während der Spiele. In den 1980er Jahren nahm schließlich die Anzahl der politischen Aktionen zu, als sich eine organisierte Fanbewegung entwickelte. Die Fans griffen dabei auf koordinierte und vorbereitete Chorgesänge, politische Lieder, Flugblattaktionen, Happenings und sogar Angriffe auf Ordnungskräfte und die Polizei zurück.

Da staatsfeindliche Aktionen nur in der Fanszene und in den Stadien möglich waren, entwickelten sich sowohl in der Volksrepublik Polen als auch in der DDR Fußballstadien zu einer Art Magnet für nonkonformistische Bürger. Denn dort hatten selbige die Möglichkeit, in einer Menge von Gleichgesinnten fast uneingeschränkt ihre eigene Meinung zu äußern, da die Wahrscheinlichkeit, im Stadion verhaftet zu werden, aufgrund der Deckung durch die großen Zuschauermassen viel geringer war.

Disciplines

Cultural studies History

Topics

State security service Football History of the GDR Sports History of the Polish People's Republic
Redaktion Pol-Int

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