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Die polnische Umweltbewegung und die Oder

Beigetragen von: Birte Peters

Redaktionell betreut von: Anja Hennig

Die Oder bietet als einer der letzten naturbelassenen Flüsse Europas einen Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Sie bildet außerdem in Teilen die Grenze zwischen Polen und Tschechien und Polen und Deutschland. Das Fischsterben in der Oder im Sommer 2022 sowie der durch den deutsch-polnischen Vertrag von 2015 ausgehandelte Oderausbau waren Themen des politikwissenschaftlichen Masterseminars „Asymmetrien im Fluss“ an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Im Zuge dieses Seminars haben wir mit verschiedenen Akteuren, die auf nationalstaatlicher und regionaler Ebene sowie als Vertreter:innen der Zivilgesellschaft mit der Oder-Thematik zu tun haben, gesprochen.

Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich mit der Rolle der Zivilgesellschaft im Odermanagement, insbesondere mit der Umweltschutzbewegung in Polen. Piotr Gliński und Małgorzata Koziarek fällten 2007 ein vernichtendes Urteil über den Zustand der polnischen Umweltbewegung, in dem sie ihr einen schwachen Rückhalt aus Politik und Bevölkerung attestierten (Gliński/Koziarek 2007: 199). Auch Łos spricht 2020 noch von einer marginalisierten Umweltbewegung in Polen.

Wie stark oder schwach aber ist die Umweltbewegung heute? Wie agierte die polnische Zivilgesellschaft auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene in Bezug auf die Oderkrise?

Polnische Transformation und der Beginn der polnischen Umweltbewegung

Den Beginn der polnischen Umweltbewegung verortet Ostolski Anfang der 1980er Jahre (Ostolski 2009: 402). In dieser Zeit entstanden viele Umweltorganisationen wie 1980 der Polski Klub Ekologiczny (Polnische Ökologische Klub) und 1984/5 Wolę być (Ich möchte lieber sein) (Ostolski 2012: 209-210). 1985 gründete sich die Oppositionsbewegung Wolność i Pokój (Freiheit und Frieden), die sich auch für Umweltthemen einsetzte und wie der Polski Klub Ekologiczny im Kontext der Solidarność entstanden war. Die Oder spielte dabei eine Rolle: So organisierten die Bewegungem in Breslau Demonstrationen gegen das Stahlwerk Siechnice, dem eine Chrombelastung der Oder vorgewurfen wurde; im Jahr 1988 wurde schließlich die Stilllegung des Werkes angeordnet.

Łoś sieht in der politischen Wende von 1989 und ihren gesellschaftlichen Folgen einen der Gründe dafür, dass die Umweltbewegung in Polen in der Öffentlichkeit als marginalisiert angesehen wird. Er erklärt diese Wahrnehmung damit, dass viele ihrer Mitglieder zur inteligencja zählten und die Bewegung somit lange Zeit als elitär wahrgenommen worden sei, was nicht mit den sozialen Forderungen „einfacher“ Bürger:innen zu vereinbaren gewesen sei (Łoś 2020: 771-775). Seit den 1990er Jahren begann eine zunehmende Professionalisierung der Umweltbewegung, die sich auch auf die Unterstützung westlicher Länder zurückführen lässt (Gliński/Koziarek 2007: 193). Ein Beispiel ist die Entwicklung professioneller Kommunikationsstrategien, um das umweltpolitische Handeln in den Augen der Bevölkerung stärker zu legitimieren (Łoś 2020: 776). Wie aber agiert die gewandelte und professionalisierte polnische Umweltbewegung heute? Inwieweit lässt sich auch in Bezug auf die Oder die These einer schwachen zivilgesellschaftlichen Aktivität bestätigen?

Umweltschutzaktivismus in der Oderregion

In unserem Masterseminar sprachen wir unter anderen mit einer Vertreterin der polnischen Umweltschutzorganisation Fundacja EkoRozwoju, die Mitglied des transnationalen NGO-Netzwerks Time for the Oder ist. In diesem Gespräch wurde uns berichtet, wie sie auf lokaler, hier insbesondere auf Wojewodschaftsebene, versuchten, eine öffentliche Debatte zu dem zum Zeitpunkt des Gesprächs im Sejm behandelten Sondergesetz zur Oder anzuregen; auch in Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren. Ein Beispiel dafür ist die öffentliche Debatte Rzeka w Metropolii vom 11. Juli 2023 in Breslau, die gemeinsam von der Fundacja EkoRozwoju mit dem Oberschlesischen Metropolverband organisiert wurde. Zivilgesellschaftlicher Aktivismus zeigt sich allerdings auch in der Form von Protestaktionen, wie der Aktion Odra – betonem i solą! Czyli dosyć pieprzenia, że problemem nie jest zasolenie („Die Oder – mit Beton und Salz! Also genug des Schwachsinns, dass die Versalzung nicht das Problem ist“), bei der Umweltschützer:innen mit Salz das Wort „Odra“ vor den Breslauer Sitz der Wody Polskie streuten, also der staatlichen Einrichtung für die Wasserwirtschaft.

Ein ganz anderes Beispiel für zivilgesellschaftliches Engagement ist die Naturrechtsinitiative Osoba Odra. Diese fordert nach Vorbild etwa Neuseelands oder Spaniens, die Gewässern zu ihrem eigenen Schutz Personenrechtsstatus erteilten, diese Rechtssubjektivität auch für die Oder und organisierte im Sommer 2023 einen Marsch entlang der gesamten Länge der Oder, an dem sich Menschen auf beiden Seite der (Grenz)Region anschlossen.

Polnischer Umweltaktivismus auf nationaler Ebene

Polnische Umweltschutzaktivitäten auf nationaler Ebene werden im NGO-Netzwerk Koalicja ratujmy rzeki gebündelt. Zu Angehörigen der Koalition zählen Privatpersonen und 51 Umweltschutzorganisationen, darunter die polnische Stelle von Greenpeace, aber auch Organisationen aus der Anfangszeit der polnischen Umweltschutzbewegung wie der Polski Klub Ekologiczny. Die Koalicja ratujmy rzeki engagiert sich im Gegensatz zu ihrem deutschen Äquivalent, dem Aktionsbündnis lebendige Oder, nicht allein für die Oder, sondern für polnische Gewässer im Allgemeinen. Durch die Kräftebündelung erhoffen sich die Aktivist:innen, einen höheren Einfluss auf Entscheidungsträger sowie größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erlangen. Dieses NGO-Netzwerk erstellt u.a. Gutachten zu Gesetzesvorhaben, Stellungnahmen sowie Lernmaterialien, die diese auf ihrer Seite veröffentlichen. Ein weiteres Beispiel für Publikationen polnischer Umweltorganisationen ist der interaktive Odra Atlas, den WWF Polska in Kooperation mit der Fundacja EkoRozwoju erarbeiteten.

Umweltaktivismus in Kooperation mit tschechischen und deutschen NGOs

Die polnische Umweltbewegung ist auch transnational vernetzt; hier ist das trinationale NGO-Netzwerk Time for the Oder von größter Bedeutung. Dieses im Anschluss an die Flutkatastrophe von 1997 entstandene Netzwerk war lange Zeit inaktiv, bis es nach dem 2015 geschlossenen deutsch-polnischen Vertrag über den Oder-Ausbau wieder aktiv wurde. Das Netzwerk verschreibt sich dem Schutz der Oder; so nahm zum Beispiel die polnische Greenpeace nach dem Fischsterben 2022 Wasserproben aus der Oder und benannte schlesische Bergbauunternehmen als Verursacher der Versalzung der Oder. Time for the Oder besteht aus NGO-Netzwerken in Tschechien, Deutschland und Polen, dort ist dies die erwähnte Koalicja ratujmy rzeki. Lobbyarbeit wird insbesondere auf internationaler bzw. auf EU-Ebene betrieben. So setzten sich v.a. deutsche NGOs im Netzwerk durch Lobbyarbeit auf EU-Ebene gegen den Oder-Ausbau und die Einbindung der Oder in das sogenannte Trans-European Transport Network ein. Eine weitere Strategie der polnischen Umweltbewegung ist, durch internationale Kooperationen und über EU-Institutionen Druck auf die polnische Regierung aufzubauen: gegen die Konstruktion der Via Baltica und die  Druck der EU auf die polnische Regierung ausgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung.

Das Netzwerk Time for the Oder führt außerdem ein Fundraising durch, dessen Erlöse für die Erforschung des Zustands der Oder nach der Umweltkatastrophe 2022, die Bildung eines internationalen Programms zur Erneuerung der Oder sowie für den Aufbau eines Softwareprogramms eingesetzt werden sollen, mit dessen Hilfe Vorkommnisse wie das Fischsterben in der Oder gemeldet werden können.

Fazit

Zusammenfassend lassen sich nun folgende Ergebnisse festhalten: Gliński und Koziarek sprachen 2007 von einer polnischen Umweltbewegung mit schwachem Rückhalt in der Bevölkerung. Im Bezug auf die Oder stellen wir fest, dass sich die Zivilgesellschaft auf der lokalen, nationalen sowie transnationalen Ebene für den Schutz der Oder einsetzt. In Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren werden Debatten organisiert und es gibt Versuche, die Bevölkerung in der Oderregion mit einzubeziehen. Des weiteren werden Protestaktionen wie die vor dem Sitz der Wody Polskie in Breslau organisiert. Auf nationaler Ebene haben sich polnische NGOs sowie Privatpersonen zu dem Bündnis Koalicja ratujmy rzeki zusammengeschlossen, die auf diese Weise versuchen, eine höhere Wirkkraft zu erlangen. Dieses Netzwerk kooperiert außerdem mit NGOs in Deutschland und Tschechien im trinationalen Netzwerk Time for the Oder.

Disciplines

Political science Cultural studies

Topics

Fish kill Civil society Environmental protection German-Polish border Networking
Redaktion Pol-Int

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