Stefan Mehrens ist seit August 2022 Assistent der Geschäftsführung im Warschauer Büro des Deutsch-Polnischen Jugendwerks (DPJW). Zuvor war er drei Jahre als Kulturmanager des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) im Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit in Gliwice tätig. Von 2013 bis 2019 studierte er Osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaften in Kiel und Rzeszów.
Tom-Aaron Aschke: Hallo Stefan! Wir haben uns 2018 während eines Praktikums am Deutschen Historischen Institut (DHI) in Warschau kennengelernt. Dem Thema Polen bist du treu geblieben und hast nach Abschluss deines Masterstudiums eine Stelle in Gliwice angetreten. Wie kam es zu dieser Entscheidung für einen Berufseinstieg in Polen und wie bist du auf die Stelle aufmerksam geworden?
Stefan Mehrens: Ich habe mich bereits früh im Studium für Polen interessiert, da mich überraschte, wie wenig ich über ein Land wusste, mit dem Deutschland eine so lange Grenze und Geschichte teilt. Während meines Masterstudiums habe ich dann ein Semester in Rzeszów studiert, was für mich eine gewisse "Icebreaker"-Erfahrung war. Seit dem Zeitpunkt kam es für mich grundsätzlich in Frage, in Polen zu arbeiten.
Die Ausschreibung habe ich über die Zeitschrift "Wila Arbeitsmarkt" gefunden. Ich habe mich über die Möglichkeit gefreut, mittels des Entsendeprogramms des ifa in genau dem Land zu arbeiten, mit dem ich mich akademisch stark beschäftigt hatte. Allerdings war es durch die Kurzfristigkeit der Zusage ein etwas hektischer Aufbruch.
Mit welchen Aufgaben warst du im Rahmen deiner Stelle im Haus für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit (HDPZ) befasst?
Als ifa-Kulturmanager war ich Projektmanager im weitesten Sinne. Ich hatte die Gelegenheit, Projekte von A bis Z durchzuführen, also von der Konzeption bis zur Abrechnung. Da kümmert man sich um eine ganze Menge verschiedener Sachen, wie Anträge schreiben, Finanzpläne aufstellen, Angebote einholen oder die Bewerbung des Projekts auf Social Media. Die Projekte waren sehr vielfältig und aufgrund meines historischen Studiums konnte ich auch einige Projekte zur Geschichts- und Kulturvermittlung betreuen. Am besten haben mir aber deutsch-polnische Begegnungsprojekte gefallen. Generell ist es dabei wichtig, dass man gut kommunizieren kann und ziemlich flexibel ist. Außerdem sind ein breit gestreutes Allgemeinwissen und eine gute Lernfähigkeit das, was man für so eine Arbeitsstelle benötigt.
Der Berufseinstieg ist bei Studienabgänger:innen häufig mit Hoffnungen, aber auch Zweifeln und Verunsicherung verbunden. Ein Schritt ins Ausland scheint da wie eine zusätzliche Herausforderung. Wie hast du diese Phase erlebt und welche Unterstützung hast du nach deiner Ankunft in Gliwice erhalten, um neben der beruflichen Einarbeitung vor Ort anzukommen?
Auch bei mir gab es Zweifel und ein wenig Verunsicherung, auch aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit. Aber das ifa hilft beim Start gut aus, die haben ja schon über 25 Jahre Erfahrung mit dem Entsendeprogramm. Hilfreich ist auch, dass es insbesondere in Polen noch einige andere Entsandte gibt, die einem mit ihren Erfahrungen und Kontakten weiterhelfen können, genauso wie die Kolleginnen und Kollegen im HDPZ. Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Polen, und ganz besonders die Schlesier, sehr gastfreundliche und hilfsbereite Menschen sind. Man muss im Zweifel nur fragen und sollte sich nicht schämen, um Hilfe zu bitten.
Sprachkenntnisse sind für Jobs im osteuropäischen Ausland zentral. Ein neues berufliches Umfeld stellt an die Sprachfähigkeiten jedoch neue Anforderungen. Wie bist du mit deinem Polnisch zu Beginn deiner Tätigkeit zurechtgekommen? Gab es Unterstützungsangebote für den Spracherwerb?
Richtig, ohne die notwendigen Sprachkenntnisse oder zumindest ein großes Sprachtalent ist es im Allgemeinen nicht möglich, im Ausland zu arbeiten. Für mich war es am Anfang eine ziemliche Herausforderung, weil ich Polnisch zwar gut lesen und verstehen konnte, aber noch nicht sehr viel Sprechpraxis hatte. Und auch das Schreiben, zum Beispiel von Mails oder kurzen Beschreibungen, fiel mir am Anfang noch schwer. Aber mit der Zeit wurde es besser, vor allem bedingt durch die Übung und die tägliche Anwendung der Sprache. Alle, mit denen ich zu tun hatte, waren sehr beeindruckt, dass ich ohne polnische familiäre Wurzeln überhaupt Polnisch sprechen konnte. Ich bin ohne einen Sprachkurs ausgekommen, aber ich weiß, dass das ifa solche Kurse bei Bedarf finanziert. Ich kann mir auch vorstellen, dass andere Arbeitgeber ebenfalls Sprachkurse finanzieren, schließlich ist es für sie wichtig, dass die Mitarbeitenden sich gut in der neuen Stelle zurechtfinden.
Es ist nicht unüblich, dass der Arbeits- und der Lebensmittelpunkt auseinanderfallen. War das auch für dich eine Option und wie schätzt du die Rolle ein, die die Bindung an die Heimat behalten sollte?
Das ist ein Thema, über das man sich auf jeden Fall ernsthaft Gedanken machen sollte, bevor man die Entscheidung trifft, im Ausland zu arbeiten. Hat man zum Beispiel Familie, eine Partnerin/einen Partner, muss man entscheiden, wo man seinen Mittelpunkt haben will. Meiner Meinung nach kann es keine langfristige Option sein, an einem Ort zu arbeiten, aber sich an einem anderen Ort zu Hause zu fühlen. Dafür sind die Distanzen selbst zwischen Deutschland und Polen zu groß. Wie viel Kontakt man in die Heimat aufrechterhalten möchte, ist natürlich jedem selbst überlassen. Ich persönlich fahre nur zu Weihnachten und zu einem anderen Termin für ein paar Tage in die Heimat, weil ich mich schon längst in Polen zu Hause fühle.
Die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen durchlaufen aktuell eine komplizierte Phase. Hat sich die politische Situation auf deine Tätigkeit in Gliwice und deine neue Stelle beim DPJW in Warschau ausgewirkt?
Die deutsch-polnischen Beziehungen sind ja auch kompliziert, vor allem durch die Geschichte. Aber sie sind auch sehr komplex: In den vergangenen Jahrzehnten sind die Verbindungen über die Oder-Neiße stets gewachsen, zum einen wirtschaftlich, aber auch im Bereich der Zivilgesellschaft. Durch diese enge Verbindung hatte ich erst die Möglichkeit, in Polen zu arbeiten, zunächst im Rahmen der deutschen Minderheit und jetzt beim DPJW. Leider wurde das Thema des Sprachunterrichts für die deutsche Minderheit von einigen polnischen Abgeordneten politisch instrumentalisiert, aber meine eigene Arbeit war davon nicht betroffen. Ich habe mitbekommen, dass viele engagierte Deutschlehrerinnen aus Schlesien Angst bekommen haben, ihre Arbeit zu verlieren. Sowas ist natürlich ziemlich dramatisch.
Der deutsch-polnische Jugendaustausch ist meines Erachtens von den politischen Entwicklungen ziemlich unabhängig, dort geht es aktuell mehr darum, die deutsch-polnischen Partnerschaften, die durch die Pandemie eingeschlafen sind, wiederzubeleben und neue Partnerschaften zu knüpfen. Hier gibt es von polnischer Seite, etwa von den Schulen, übrigens ein größeres Interesse am Austausch als von deutscher. Ich würde mich freuen, wenn das Interesse für Polen in Deutschland steigen würde.
Wie hat deine berufliche Tätigkeit in Polen deine Perspektive auf dein Gastland, aber auch auf Deutschland verändert?
Je länger man sich in einem anderen Land aufhält, desto besser lernt man Land und Leute kennen. Ich habe beide sehr ins Herz geschlossen und mir gefällt insbesondere die berühmte polnische Gastfreundschaft. Und auch die Mentalität der Menschen, etwa wenn es ums Arbeiten geht, finde ich deutlich pragmatischer: Während die Deutschen oft nur Probleme sehen, sieht man in Polen Lösungen; die Deutschen wollen am liebsten alles schriftlich haben, während ich in Polen auch viel mehr mit einem Anruf erledigen kann.
Gleichzeitig habe ich auch Dinge an Deutschland schätzen gelernt, die ich früher nicht so stark wahrgenommen habe. Da denke ich zum Beispiel an das Gesundheitssystem, das in Polen, wie in vielen anderen ostmitteleuropäischen Ländern auch, nicht so gut ausgebaut ist. Aber generell hält die Erfahrung des Arbeitens im Ausland eine neue Perspektive auf das eigene Heimatland bereit und man lernt die Sichtweisen anderer Menschen auf dieses Land besser kennen.
Gibt es zum Abschluss einen Ratschlag, den du jungen Osteuropaexpert:innen, die sich für eine Tätigkeit im osteuropäischen Ausland interessieren, mit auf den Weg geben möchtest?
Seid mutig! Ich finde, man sollte es einfach mal versuchen, im Ausland zu arbeiten, wenn man die Gelegenheit dazu hat. Natürlich gibt es dabei gewisse Risiken und einiges Unbekanntes. Und vielleicht klappt es auch nicht – aber dann hat man zumindest im Nachhinein einiges gelernt, nicht nur über Osteuropa, sondern auch über sich selbst.