Der Kulturwissenschaftler und Soziologe Thorsten Heimann leistet mit Klimakulturen und Raum einen weiteren Beitrag zur laufenden und thematisch vielschichtigen Debatte des Klimawandels, der in seiner Arbeit aus kultureller Sicht betrachtet wird. Für diese Untersuchung nimmt Heimann eine sozialkonstruktivistische Perspektive ein, die die akteursspezifischen Konstruktionen der Wirklichkeit, hier: Klimawandel, in den Blick nimmt. Untersuchungen, die diese Wissenschaftsfelder verknüpfen, sind bisher nur vereinzelt vorhanden. Wichtiges Merkmal der Studie ist die Einbeziehung des Raumbegriffes in die Betrachtung von Klimakulturen. Der Autor leistet somit einen Beitrag zu der noch jungen Debatte über den Einfluss der Kultur auf dem Umgang mit dem Problemfeld Klimawandel hat.
Heimann setzt mit seiner Arbeit an der Beobachtung an, dass diesbezügliche Bemühungen auch an sozialen und kulturellen Differenzen zwischen Akteuren (Verwaltung, Politik, Wirtschaft, NGO – non-governmental organization) scheitern. Den Fokus legt er dabei auf die raumwissenschaftliche Erforschung der kulturellen Unterschiede im Umgang mit dem Klimawandel. Heimanns zentrale Forschungsfragen lauten: Welche Klimakulturen lassen sich in den Küstenregionen Deutschlands, der Niederlande, Dänemarks und Polens beobachten? Wie lassen sich klimakulturelle Unterschiede erklären? (S. 17–19)
Der Autor unterteilt das Buch in zwölf Kapitel, die wiederum fünf größere thematische Bereiche widerspiegeln: die sozialtheoretische Entwicklung des Kultur- und Raumverständnisses (Kap. 3), die Beschreibung relevanter Klimadiskurse im Hinblick auf konstruierte Chancen und Probleme sowie potentielle Maßnahmen der Raumentwicklung (Kap. 3 und 4), die Frage nach erklärenden bzw. diskriminierenden Faktoren für Klimakulturen (Kap. 5 und 6), das empirische Vorgehen (Kap. 7) sowie die Ergebnisse der empirischen Studie (Kap. 8 bis 10) (S. 21).
„Kultur" und „Raum" sind die beiden grundlegenden Leitbegriffe der Arbeit Heimanns. Er stellt sie zunächst vor, beschreibt deren Entwicklung im Zusammenhang mit der deutschen Klimaforschung, legt den wissenschaftlichen Diskurs dar und erläutert die Bedeutung der Begriffe für seine Untersuchung (S. 25–57). Der Autor beschreibt Klimakulturen als sozial geteilte Wissenskonstruktionen zum Klimawandel. Gefragt wird, welche Vorstellungen und Praktiken die Akteure hinsichtlich der Probleme, Chancen und Lösung des Klimawandels teilen und umsetzen, welche Konstruktionen der Wirklichkeit von ihnen geteilt werden und warum. Die geteilten Wahrnehmungen von Problemen und Chancen durch Klimawandel bezeichnet er als Vulnerabilitätskonstruktionen, die geteilten Präferenzen zu Praktiken des Klimaschutzes und der Klimaanpassung als Resilienzkonstruktionen (S. 39–40). Im nächsten Abschnitt beschäftigt der Autor sich mit dem zweiten Leitbegriff seiner Untersuchung, dem Raum. Als vornehmliche Problematik betrachtet er den Mangel eines analytischen Instrumentariums, „das theoretisch und methodisch sowohl einer möglichen Deterritorialisierung von Kultur als auch ebenso denkbaren Wirkungen weiterhin bestehender territorialer Grenzen gerecht werden kann" (S. 45). Zur Analyse der räumlichen Zusammenhänge von Klimakulturen schlägt er ein relationales Kulturraumverständnis vor, wobei Kulturen als relationale Anordnungen von Akteuren mit sozial geteilten Wissenskonstruktionen verstanden werden (S. 55–57).
In Kapitel 3 und 4 beschäftigt sich der Autor ausführlich mit den Diskursen zum Klimawandel, insbesondere den Vulnerabilitätskonstruktionen (S. 59–80) und den Resilienzkonstruktionen (S. 81–101). Einfluss auf die Vulnerabilitäts- und Resilienzkonstruktionen hat das Hintergrundwissen, das Heimann in Werte, ökologische Weltbilder und ortsbezogene Identifikation unterteilt. Eine theoretisch-konzeptionelle Lücke füllt Heimann dadurch, dass er diese Hauptformen von Hintergrundwissen als gemeinsamen Erklärungsansatz für klimabezogenes Handeln integriert. Er bezeichnet diesen integrierten Ansatz als VBI-Modell[1] (S. 142–143). Gleichzeitig haben weitere soziale Faktoren wie die regionale oder Feldzugehörigkeit einen Einfluss auf das Hintergrundwissen sowie auf die als Vulnerabilitäts- und Resilienzkonstruktionen präzisierten Klimakulturen. Und schließlich fließen zusätzliche soziale Faktoren wie Alter, Geschlecht und Bildung als Kontrollvariablen in das theoretische Rahmenwerk der Untersuchung ein (S. 104).
Vor der empirischen Prüfung seines Ansatzes stellt der Autor in Kapitel 6 jeweils die Historie und den Stand bzw. den aktuellen Umgang mit der Klimaschutzpolitik und Klimaanpassungspolitik in den untersuchten Ländern vor. In seiner Analyse deuten sich – entgegen der kulturellen Homogenisierungsthese – nationale Grenzen hinsichtlich der Priorität und Problemwahrnehmung von Klimawandel als klimakulturellen Demarkationslinien an. Nach der kulturellen Homogenisierungsthese sollten regionale oder nationale Grenzen an Bedeutung verloren haben und durch das Entstehen gemeinsamer Institutionen gemeinsame Wirklichkeitsvorstellungen, Werte und Identitäten entstehen (S. 197–198).
Die empirische Analyse zur Beantwortung der Frage, inwiefern Akteure in verschiedenen Räumen Probleme und Chancen durch Klimawandel sehen und welche Vulnerabilitätskonstruktionen geteilt werden (S. 228–256), offenbart die größten Übereinstimmungen bei den Vorstellungen über klimawandelbezogene Probleme bei den älteren EU-Mitgliedstaaten Dänemark, Deutschland und Niederlande. Die Differenz zu Polen, wo der Klimawandel seltener als größeres Problem betrachtet wird und wo ein hoher Anteil an Klimaskeptikern zu finden ist, lässt sich auf unterschiedliches Hintergrundwissen zurückführen. Ein Blick auf die Akteursebene ergibt, dass NGOs den Klimawandel am problematischsten betrachten; im Gegensatz zur Wirtschaft, für die er ein weniger großes Problem darstellt (S. 229–247).
Die anschließende empirische Untersuchung der Resilienzkonstruktionen ist sehr komplex und vielschichtig. Zunächst kategorisiert Heimann Resilienzkonstruktionen als Klimaanpassungspraktiken und Klimaschutzpraktiken (S. 40). Bei der Untersuchung der Präferenz der Akteure zeigt sich, dass dem Klimaschutz zwar vielfach eine größere Notwendigkeit zugesprochen wird als Maßnahmen zur Klimaanpassung, beide Kategorien aber mit höheren Relevanzen verbunden sind. Beim Blick auf die nationale Herkunft fällt auf, dass bei der Einschätzung von Notwendigkeit und Umsetzbarkeit von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen größere Unterschiede zwischen Polen und den übrigen Befragten auftreten. In Polen fällt die Beurteilung der Umsetzbarkeit von Maßnahmen sowie der eigenen Kompetenz in diesem Bereich deutlich pessimistischer aus als in den anderen Ländern (S. 261–263).
Auch die Untersuchung der Frage, inwiefern die Akteure mit allgemeinen Maßnahmenstrategien zu Klimaschutz und Anpassung vertraut sind und inwiefern ihnen diese als notwendig erscheinen, machte – wie bei der Untersuchung von Vulnerabilitätskonstruktionen – ein Muster sichtbar. Zum einen war zu beobachten, dass sich NGO-Akteure von den anderen Befragten deutlich absetzen. Mitglieder dieser Gruppe fielen durch eine höhere Vertrautheit mit Maßnahmen zum Klimaschutz und Maßnahmen zur Klimaanpassung auf. In dieser Frage waren zudem größere Unterschiede zwischen den polnischen und den anderen Akteuren erkennbar. Darüber hinaus standen die polnischen Befragten Klimaschutzmaßnahmen eher kritisch gegenüber, wogegen Klimaanpassungsmaßnahmen als notwendiger erachtet wurden.
Die Untersuchung der Beziehungen zwischen den Klimakulturen und allgemeinen Wissensordnungen erbrachte, dass ein Großteil der Variablen des VBI-Modells – wie auch im Bereich der Vulnerabilitätskonstruktionen – regelmäßig auch Unterschiede der sozial geteilten Resilienzkonstruktionen erklären kann.
Die Arbeit von Thorsten Heimann ist eine wichtige Ergänzung der Kultur- und Raumforschung, insbesondere mit Blick auf die Erklärung von klimarelevantem Deuten und Handeln. Heimann definiert nicht nur die verschiedenen Klimakulturen an europäischen Küsten, sondern benennt auch Faktoren, die diese Kulturen trennen, und findet Erklärungen für klimakulturelle Differenzen. Folglich bietet dieses Buch neben viel Hintergrundwissen zum Klimawandel, zu klimakulturellen und kommunikativen Unterschieden sowie den bisherigen theoretischen und methodischen Diskursen wesentliche neue Erkenntnisse. Die Arbeit sticht insbesondere dadurch hervor, dass sie das Verhältnis zwischen Ort/Region und Kultur adressiert und dafür einen Untersuchungsansatz gefunden hat. Hervorzuheben ist zudem, dass die bisher getrennt betrachteten Faktoren zur Erklärung klimabezogenen Handelns als gemeinsamer Erklärungsansatz integriert werden. Der wissenschaftliche Wert der Untersuchung ergibt sich insbesondere auch daraus, dass nun erstmals empirische Daten zur Untersuchung von Vulnerabilitäts- und Resilienzkonstruktionen von Akteuren der Raumentwicklung in Europa vorliegen. Die Publikation ermöglicht erstmals eine Bewertung des Untersuchungsgegenstandes. Hier liegt jedoch gleichzeitig eine Herausforderung von Heimanns Untersuchung, auf die er selber hinweist: Bei einer Grundgesamtheit von knapp 6.800 Befragten und einer Netto-Rücklaufquote von 12 Prozent (830 Befragte) ergeben sich in manchen Kategorien zu geringe Fallzahlen für eine Ableitung allgemeiner Muster.
Positiv hervorzuheben sind der logische Aufbau und die stringente Gedankenführung der Arbeit sowie die jeweils überleitende Zusammenfassung des vorangegangenen Kapitels bei gleichzeitigem Ausblick auf das neue Kapitel. Diese Überleitungen sind allerdings auch dringend notwendig, denn der Leser liefe sonst durch die Komplexität des Untersuchungsaufbaus sowie durch die Vielzahl von Hypothesen, zu beantwortender Fragen und sich entwickelnder Begrifflichkeiten Gefahr, den roten Faden zu verlieren. Während der Nutzen des Buches für den allgemein an Klimawandel und Klimakulturen interessierten Leser wahrscheinlich eher eingeschränkt ist, stellt die empirische und theoretische Präsentation seines innovativen und tiefgründigen Forschungsansatzes eine interessante Quelle für quantitative Sozialwissenschaftler dar, die an einer komplexen Methodik interessiert sind.
[1] VBI steht für Werte (values), Wirklichkeitsvorstellungen (beliefs) und ortsbezogene Identifikation (identifications).