Der Bundesstiftung Aufarbeitung ist mit diesem Sammelband ein konziser Überblick über die Bedeutung Katyńs als polnischer Erinnerungsort in Polen selbst und an Orten der Polonia weltweit gelungen. Die Kombination knapper einführender Beiträge und die Darstellung hunderter Katyń-Denkmäler stellt für den Leser eine umfassende Informationsquelle dar. Die Beiträge zur Einführung von Anna Kaminsky / Ruth Gleinig, Zbigniew Gluza, Piotr Łysakowski, Claudia Weber und Werner Benecke beziehen sich insbesondere auf die Bedeutung Katyńs für die polnische Erinnerungskultur und Identität, die Tabuisierung Katyńs während der Ära der Volksrepublik Polen, Geschichtsklitterung seitens der sowjetischen Besatzer und die Behandlung Katyńs in der internationalen Politik und Diplomatie; sie bringen bekannte Thesen präzise auf den Punkt.
Peters widmet sich der Bedeutung Katyńs in der polnischen Erinnerungskultur nach 1945 und zeigt so auch Aspekte des Wandels der Volksrepublik und des Systemwandels um 1989 sowie hinsichtlich der Frage auf, welche Entwicklung die Republik Polen nach 1989 erfährt. Hierbei geht es insbesondere auch um die Politisierung des Gedächtnisortes, die Katyń erfahren hat. Durch seinen und Rysaks Beitrag erhält der Leser eine präzise Hinführung zu den abgebildeten und vorgestellten Katyń-Denkmälern weltweit. Einen Beitrag möchte ich besonders hervorheben: Rysak stellt eine seltene Vermischung aus staatlich-offizieller und individuell-freizeitorientierter Umsetzung von Erinnerungskultur vor. Mit den „Katyń-Rides" (Motorradtouren) entlang wichtiger Erinnerungsorte Katyńs, die eine moderne Form der Pilgerreise darstellen, aber vor allem auf Völkerverständigung und Gespräche von Nachbar zu Nachbar angelegt sind, erreicht dieses ungewöhnliche Angebot eine breite Aufmerksamkeit in der Bevölkerung und ist eine Form der Erinnerungskultur, die nah an der Bevölkerung ist – im Gegensatz zu einer zeremoniellen Kranzniederlegung o.Ä. Die Abbildung und Vorstellung mehrerer hundert Katyń-Denkmäler aus 20 Ländern stellt einen umfassenden Fundus dar, wie er sonst nur in der polnischer Literatur zu finden ist.
Dem Leser gelingt es so, sich ein Bild von der Bedeutung Katyńs als polnischem Erinnerungsort zu machen, sich mit der unterschiedlichen Ikonografie beschäftigen zu können und beeindruckende Beispiele von Erinnerungskultur studieren zu können. Gerade für die universitäre Lehre ist dieser Band ein großer Gewinn. Für den Kenner der polnischen Geschichte, Zeitgeschichte und Erinnerungskultur er eine unverzichtbare Lektüre. Auch für diejenigen, die sich für Erinnerungskultur bildet interessieren, stellt er einen umfassenden Fundus analytischer Annäherung und exemplarischer Fallbeispiele dar.
Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 65 (2016) H. 1.