Am 21. Oktober 2022 richtete die Junge DGO zum fünften Mal die Veranstaltung Zukunft Osteuropa aus. Dort kamen Studierende, Promovierende und Berufseinsteiger:innen miteinander über Perspektiven im Berufsfeld Osteuropa ins Gespräch und erhielten Unterstützung bei der beruflichen Orientierung. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden auch die Veränderungen reflektiert, die sich für junge Osteuropaexpert:innen seit Februar 2022 ergeben haben. Gastgeber der Tagung mit 40 Teilnehmenden war der Arbeitsbereich Osteuropäische Geschichte an der Universität Mainz unter Leitung von Jan Kusber.
Als Ausgangspunkt der "Zukunft Osteuropa" diente die Feststellung, dass sich das Berufsfeld Osteuropa entlang der politischen Entwicklungen in der Region verändere. Diese Wandlungsprozesse sollten in den Blick genommen und ihre Auswirkungen reflektiert werden. Insbesondere die Verschärfung des russischen Kriegs gegen die Ukraine im vergangenen Jahr machte eine Bestandsaufnahme nötig und zeigte den Bedarf nach Neuorientierung und Perspektiven auf. Gleichzeitig standen, wie in den vorangegangenen Jahren auch, Austausch, Vernetzung, berufliche Orientierung und Beratung der Teilnehmenden im Fokus der Veranstaltung.
Zum Programm zählten eine Podiumsdiskussion zum Thema "Wandel & Perspektiven im Berufsfeld Osteuropa", zwei Workshop-Panels und der "Markt der Möglichkeiten", auf dem sich unterschiedliche Einrichtungen mit Osteuropabezug präsentierten.
Das Fazit auf dem eröffnenden Podium fiel gemischt aus. Konsens bestand darüber, dass die Entwicklungen der vergangenen Jahre wenig Anlass zu Optimismus gäben. Keineswegs seien die jüngste Invasion der Ukraine durch Russland sowie ihre Folgen der alleinige Treiber von Veränderungen im Berufsfeld gewesen. Jan Kusber (Uni Mainz) berichtete, dass sich sinkende Einschreibungszahlen für slavistische Studiengänge bereits seit mehreren Jahren beobachten ließen. Nachlassendes Interesse in Gestalt sinkender Bewerber:innenzahlen beklagte auch Karoline Gil (ifa/Stuttgart) für den Bereich der internationalen Zusammenarbeit. Erschwert bis verunmöglicht werde die Arbeit mit russischen Partnerinstitutionen seit der Intensivierung des Kriegs im Februar und der westlichen Sanktionen gegen Russland. Auf deren dramatische Auswirkungen für die Wissenschaft wies Vera Rogova (DAAD/Bonn) hin. Durch Etatkürzungen beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) komme der internationale Wissenschaftsaustausch unter erheblichen Druck und die Prekarität unter den geförderten Doktorand:innen nehme zu. Deren Situation werde auch durch den fehlenden Zugang zu russischen Archiven kompliziert und mache ein Umplanen vieler Forschungsarbeiten notwendig, so Jan Kusber. Dieser hielt aber auch fest, dass angesichts der aktuellen politischen Situation mittelfristig wieder mehr osteuropabezogene Expertise nachgefragt werde. Inwiefern sich dies für Berufseinsteiger:innen merklich und in Form von Stellenplänen niederschlagen wird, bleibt abzuwarten.
Im Anschluss an das Podium widmeten sich zwei Workshop-Runden den individuellen Lebenssituationen der Teilnehmenden und gaben diesen die Chance, im Austausch mit den Referent:innen Einblicke in konkrete Berufe zu erhalten. Viele Fragen berührten etwa die geforderte Flexibilität in den Übergängen zwischen Studium und Berufseinstieg, sowie die Absicherung in den Arbeitsverhältnissen für Berufseinsteiger:innen, beispielsweise hinsichtlich der üblichen Befristungen und Vergütungen. Auch nach den erforderlichen Kompetenzen für bestimmte Berufsprofile und der Zugänglichkeit zu besonders attraktiven Berufen gab es aus dem Kreis der Teilnehmenden viele Nachfragen.
In den Workshops wurde deutlich, dass während des Berufseinstiegs meist nur wenig Planungssicherheit möglich ist und mit kurzfristig bemessenen Verträgen gerechnet werden muss. Dabei wird von jungen Berufseinsteiger:innen durchaus ein gewisses Maß an Flexibilität eingefordert. Sollte der erste Job ins osteuropäische Ausland führen, sei darüber hinaus auch eine hohe Bereitschaft gefragt, sich auf die neue Umgebung einzulassen und sich vor Ort zu integrieren, sagte Stefan Mehrens (DPJW/Warschau) im Workshop zum "Arbeiten im osteuropäischen Ausland". Allerdings könnten sich Einsteiger:innen auch darauf verlassen, vor Ort durch Weiterbildungsangebote beim Erwerb und Ausbau spezifischer sprachlicher Kompetenzen unterstützt zu werden. Karoline Gil (ifa/Stuttgart) hob für das Berufsfeld der internationalen Zusammenarbeit den hohen Stellenwert intrinsisch motivierten, eigeninitiativen Interesses an Region und Menschen hervor. Sie unterstrich die Bedeutung des außeruniversitären Erwerbs von Soft-Skills wie kommunikativen Fähigkeiten, Erfahrungen in der Projektorganisation, Übernahme ehrenamtlicher Positionen und dem Aufbau von Netzwerken in Studium und Nebentätigkeiten.
Erstmalig konnte auch ein Workshop zu "Wegen in die Selbstständigkeit" angeboten werden, in dem Marco Fieber (Libereco/Köln) über die Gründung einer NGO berichtete. Er gab Einblicke zu Projektkoordination und Arbeitsabläufen innerhalb einer NGO am Beispiel der humanitären Tätigkeit von Libereco in der Ukraine und in Belarus. In Anbetracht der Tatsache, dass die Umsetzung von Projekten stark von Finanzierungsmöglichkeiten abhänge, spiele die Entwicklung einer passenden Strategie für das Non-Profit-Marketing eine große Rolle, so Fieber. Viel Anklang unter den Teilnehmenden fand die Vorstellung der Kulturvermittlung. Da diese heute vorwiegend im digitalen Raum stattfinde, betonte Antje Johanning-Radžienė (Herder-Institut/Marburg) die Bedeutung digitaler Kompetenzen, mithilfe derer die Zugänglichkeit kultureller Bildung erheblich verbessert werden könne.
Getragen wurde die eintägige Veranstaltung vom Wunsch der Teilnehmenden nach Austausch und Vernetzung untereinander sowie mit den Referent:innen. In Gesprächen artikulierte sich der empfundene Verlust von Chancen zum Erfahrungsaustausch infolge der Hemmung von Veranstaltungen und Reisen während der Corona-Pandemie. Deutlich wurde auch, dass seitens junger Osteuropaexpert:innen bereits ein hohes Maß an Kreativität, Initiative sowie konkreten Ideen und Vorstellungen hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft eingebracht wird. Zuversichtlich stimmten auch die vielfältigen Kompetenzen, die von Studierenden bereits in zahlreichen ehrenamtlichen und bezahlten Nebentätigkeiten erworben und gepflegt werden. Offensichtlich wurde, dass mit diesen außeruniversitär erworbenen Erfahrungen auch Ansprüche an künftige Arbeitsverhältnisse, etwa hinsichtlich Befristungen, Weiterbildungsmöglichkeiten oder der Familienplanung verbunden werden.
Aufgrund der hohen Nachfrage und Bewerber:innenzahl konnten leider nicht alle Interessierten eingeladen werden. Allerdings erfüllte sich die Zielstellung der Tagung, ein niedrigschwelliges berufsorientierendes Informationsangebot für junge Osteuropaexpert:innen anzubieten. Das große Interesse und auch die Diskussionsbereitschaft der Teilnehmenden zeigten auf, dass weitere berufsorientierende Formate für Studierende in der Abschlussphase, für Berufseinsteiger:innen sowie Promovierende nachgefragt sind und von Universitäten und außerakademischen Einrichtungen angeboten werden sollten. Trotz der vielen Unwägbarkeiten und Veränderungen, die sich seit der russischen Invasion der Ukraine im Berufsfeld Osteuropa ergeben haben, war die Stimmung keineswegs von Verunsicherung geprägt. Vielmehr wurde deutlich, dass junge Expert:innen etwa im journalistischen Bereich, in der Forschung oder in NGOs mit neuen Ideen und konkreten Erwartungen an die berufliche Auseinandersetzung mit Osteuropa nachrücken. Die Vielfalt dieser Interessen und Bedarfe aufzugreifen und zu unterstützen, stellt eine wichtige Aufgabe für Institutionen und Arbeitgeber dar. Festgehalten werden sollte in diesem Zusammenhang, dass der Wunsch nach einer akademischen Karriere unter den Teilnehmenden keinesfalls überwog. Im Gegenteil überraschte die große Heterogenität der beruflichen und disziplinären Hintergründe sowie unter dem akademisch interessierten Nachwuchs das Bedürfnis, über Alternativen und Optionen außerhalb der Wissenschaft informiert zu sein.
Ohne Zweifel steht das Berufsfeld Osteuropa mit Blick auf den Nachwuchs vor Herausforderungen. So müssen wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten teilweise erheblich umgeplant, aber auch die Strukturen und Fördermöglichkeiten für angehende Expert:innen langfristig gesichert werden. Gleichzeitig hat nicht zuletzt das vergangene Jahr die osteuropabezogene Expertise wieder in den Mittelpunkt der Debatte gerückt. Zu hoffen bleibt, dass sich diese Entwicklung mittelfristig in der Sicherung und kim Ausbau institutioneller, nachhaltiger Strukturen, in höheren Einschreibungszahlen an den Universitäten sowie in der Ausschreibung neuer Stellen niederschlagen wird.