Der besprochene Band vereint Aufsätze von Forschern des Instytut Śląski in Oppeln sowie deutscher und tschechischer Wissenschaftler zur Sprachpolitik. Dabei richten die Autoren ihren Blick – anders als dies der Titel suggeriert – nicht nur auf Oberschlesien, sondern in hohem Maße auch auf benachbarte Areale. Sechs von den versammelten elf Beiträgen beschäftigen sich mit toponomastischen Fragen; dieser Schwerpunkt hätte ebenfalls im Titel des Sammelbandes seinen Niederschlag finden sollen. Dass Konflikte um Ortsnamen ein zentrales Feld sprachpolitischer Auseinandersetzungen sind, steht außer Frage und wird in der vorliegenden Veröffentlichung nicht nur durch die Quantität der Beiträge, sondern auch inhaltlich bestätigt.
Verstärkte Aufmerksamkeit wurde der Toponomastik nicht zuletzt nach der 1922 erfolgten Teilung Oberschlesiens gewidmet, auf polnischer wie auf deutscher Seite. Hinsichtlich Ostoberschlesiens argumentiert Łucja Jarczak, dass bereits 1920 die Grundlage für Umbenennungen vom Deutschen ins Polnische gelegt wurde, mit einer Ortsnamen-Liste des polnischen Plebiszitkommissariats (S. 108). Die deutschen Namen von Bergwerken, Hütten und Schächten wurden nach Angaben Jarczaks bis 1927 noch weitgehend beibehalten oder an das polnische Sprachsystem angepasst, ab 1928 bis zum Kriegsausbruch dagegen durch polnische Namen ersetzt, die mit den ursprünglichen Bezeichnungen in der Regel nichts gemeinsam hatten (S. 116f).Für Westoberschlesien bzw. das Oppelner Schlesien konzentriert sich Monika Choroś mit ihrer Darstellungauf die Orts-Umbenennungen der mittleren 1930er Jahre (S. 81-94). Hier wäre es durchaus interessant gewesen, auch über Ortsnamen-Diskussionen in der Phase zwischen Plebiszit und nationalsozialistischer Machtergreifung etwas zu erfahren. In der „Toponymie-Politik“ Westoberschlesiens unter NS-Herrschaft zeigt Choroś anhand zahlreicher Beispiele zwei gegenläufige Tendenzen auf: erstens die ideologische Vorgabe, die stark slawisch geprägten bisherigen deutschen Ortsnamen durch völlige Neuschöpfungen zu ersetzen; zweitens aber auch das Bestreben, auf eine regimetreue Weise an lokale Traditionen anzuknüpfen und das zu fixieren, „was aus Sicht der Einwohner charakteristisch und wichtig“ war (S. 94, Übersetzung des Rezensenten).
Während, wie Gero Lietz belegt, in der Nachkriegszeit die sowjetische Besatzungszone Deutschlands (SBZ) und spätere Deutsche Demokratische Republik (DDR) die Germanisierungen sorbischstämmiger Ortsnamen nur teilweise rückgängig machte (S. 55f), war die Ortsnamenpolitik der frühen Volksrepublik Polen ein zentraler Baustein für die Integration der „Wiedergewonnenen Gebiete“ (S. 51). Da Polen der offiziellen Lesart zufolge ein monoethnischer Staat mit moderner Wirtschafts- und Sozialstruktur geworden war, wurden allerdings nicht nur Germanisierungen umgekehrt und ehemals deutsche Toponyme polonisiert. Die Umbenennungen der unmittelbaren Nachkriegszeit betrafen darüber hinaus auch Dialektismen, die als rückständig galten, sowie kaschubische, tschechische und lemkische Einflüsse (S. 51-53). Hinsichtlich des Niedersorbischen im polnischen Teil der Niederlausitz berichtet Lietz anhand einiger Beispiele ebenfalls von Polonisierungen (S. 52-53).
Zugleich führt Christian Zschieschang in seinem Beitrag, der auf das Niedersorbische fokussiert, andere Beispiele an, die ihn zu dem Schluss führen, dass in der Arbeit der zuständigen Kommission zur Festlegung von Ortsnamen (Komisja Ustalania Nazw Miejscowych) offenbar „der Rückgriff auf das niedersorbische Namenerbe im Mittelpunkt gestanden“ habe (S. 78).
Ab Mitte der 1970er Jahre waren ideologische Vorgaben in der polnischen Ortsnamenpolitik aufgrund des gesellschaftlichen Aufbruchs nicht mehr so leicht durchzusetzen wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit. So berichten Gero Lietz (S. 53f) und Stanisława Sochacka (S. 38f) von einer Initiative der politischen Führung unter Premierminister Piotr Jaroszewicz, „nichtpolnisch klingende“, d.h. ukrainisch, weißrussisch und litauisch beeinflusste Toponyme im Osten des Landes zu ändern.Die Initiative scheiterte am Widerstand von lokal engagierten Wissenschaftlern, Kulturschaffenden und Tourismusexperten, was sogar zur vorübergehenden Auflösung der zuständigen staatlichen Kommission (Komisja Nazw Miejscowości i Obiektów Fizjograficznych) führte. Hinweise auf ein gestiegenes Interesse an lokaler Geschichte – und damit auch an der Geschichte von Ortsnamen – in der späten Volksrepublik Polen liefert auch der Beitrag von Leokadia Drożdż (S. 121-133).Er fasst die wichtigsten Inhalte einer populärwissenschaftlichen Artikelserie zu Toponymen im Teschener Schlesien zusammen, erschienen von 1974 bis 1992 in der Zeitschrift „Zwrot“.
Die Entwicklung der Ortsnamenpolitik nach dem Systemwechsel in Mittel- und Osteuropa wird in den Beiträgen des Bandes ebenfalls angerissen. Für die Nachwendezeit attestiert Sochacka der staatlichen Ortsnamenkommission angemessene Zurückhaltung gegenüber der gestiegenen Zahl von Umbenennungsanträgen. Deren Hauptmotivationen seien gewesen: Änderungen des administrativen Status von Kommunen, der Wunsch nach Wiederherstellung von Dialektismen in Ortsnamen, die Beseitigung pejorativ konnotierter oder die Einführung prestigeträchtiger Toponyme sowie die Beseitigung orthographischer oder grammatischer Fehler (S. 40f). Kritische Akzente zum „deutschen“ Umgang mit Toponymen setzen Zschieschang und Lietz. Zschieschang moniert eine Nachlässigkeit der deutschen Behörden bei der Umsetzung der deutsch-niedersorbischen Zweisprachigkeit im öffentlichen Raum, festzumachen an inkonsistenten niedersorbischen Schreibungen sowie Lücken in der niedersorbischsprachigen Beschilderung (S. 79). Lietz bietet mit dem Verweis auf eine 2007 erschienene „Straßenkarte Polen – Wartheland Ost“, die auch nationalsozialistische Benennungen verzeichnet, ein schlagendes Beispiel für einen – zurückhaltend interpretiert – unsensiblen Umgang mit dem Erbe der NS-Toponymie (S. 57).
Ebenfalls auf die Onomastik bezogen, allerdings auf Personennamen, ist der lesenswerte Beitrag von Bernard Linek (S. 95-103).Linek schildert den Fall des Gleiwitzer Anwalts Marian Różański, der sich 1903 weigerte, einer Steuerforderung nachzukommen, da im Bescheid sein Nachname ohne polnische Diakritika geschrieben worden war. Mit seinem – letztlich abgewiesenen – Widerspruch löste Różański eine Debatte aus, die Vertreter mehrerer preußischer Ministerien über die Sprachpolitik gegenüber den polnischen Bürgern führten.Linek zufolge zeigt die Debatte die damalige Zerrissenheit Preußen-Deutschlands zwischen liberaler Rechtsstaatlichkeit, Germanisierungspolitik und dem konservativen Bedürfnis nach „Ruhe und Ordnung“ (S. 103).
Weitere Beiträge des Bandes beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Schulsprachpolitik und Nationalbewegungen im Habsburgerreich (Gawrecká/Gawrecki, S. 9-17), der Anwendung der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen in Tschechien (Szymeczek, S. 61-67), dem polnischsprachigen Schulwesen im Oppelner Schlesien der Zwischenkriegszeit (Cimała, S. 19-32) sowie der Sprachpolitik des Deutschen Reiches gegenüber den Polen im Spiegel des „Lexikons des Polentums in Deutschland“ (Leksykon Polactwa w Niemczech), einer 1939 erschienenen Veröffentlichung, die vom Bund der Polen in Deutschland (Związek Polaków w Niemczech) herausgegeben wurde (Lis, S. 135-160). Insgesamt schneidet der Sammelband eine Reihe von interessanten Einzelproblemen auf dem Gebiet der Sprachpolitik, besonders aber der Onomastik, im östlichen Mitteleuropa an und liefert hierzu zahlreiche weiterführende Literaturhinweise sowie Inspirationen für noch unbearbeitete Forschungsfragen.
Ein Manko der Veröffentlichung ist hingegen ihre große thematische und areale Heterogenität, die auch nicht durch Vergleichsstudien – die im Kontext der behandelten Themen durchaus sinnvoll gewesen wären – aufgefangen wird.