Die Internationalität der Kunststadt München ist einer breiten Öffentlichkeit spätestens seit den Feierlichkeiten rund um das 200. Jubiläum der Münchner Akademie 2008 bekannt. Ausstellungen, Publikationen und Konferenzen thematisierten die Bedeutung Münchens für die internationale Künstlerschaft und lenkten den Blick insbesondere auf die Künstler, die aus Südosteuropa und den USA in die bayrische Hauptstadt gekommen waren. Indirekt an diese Projekte anknüpfend widmete sich der im Juli 2017 am Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZIKG) und an der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien (GSOSES) durchgeführte zweitätige Workshop dezidiert dem Wirken der polnischen Malerkolonie, die vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in München aktiv gewesen war und mit über 300 Studenten zu den größten nationalen Künstlergruppen an der Akademie gezählt hatte. Zu den Hauptvertretern der polnischen Münchner Schule (poln. Polska Szkoła Monachijska) gehören u.a. Józef Brandt, Aleksander und Maksymilian Gierymski sowie Alfred Wierusz-Kowalski, die gerade in den letzten Jahren durch monografische Ausstellungen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt sind.
Organisiert wurde der Workshop von Anna Baumgartner (GSOSES, LMU München) und Aleksandra Krypczyk-De Barra (Nationalmuseum Krakau). Ihr Ziel war es, einen überblicksartigen Querschnitt der aktuellen Forschung zu den „Münchner Polen" zu präsentieren und vor einem deutsch-polnischen Publikum zu diskutieren. Während – wie die Organisatorinnen einleitend betonten – die Bedeutung der polnischen Malerkolonie in der polnischen Kunstgeschichtsschreibung unumstritten sei, könne auf deutscher Seite erst in den letzten Jahren ein Interesse an diesem wichtigen Kapitel der deutsch-polnischen Kunstbeziehungen vermerkt werden. Somit sei die Möglichkeit, erstmals in einer in München stattfindenden Veranstaltung das Wirken der dort einst tätigen polnischen Maler zu behandeln, besonders erfreulich.
Nach den Grußworten, in denen der stellvertretende Direktor des ZIKG, Prof. Dr. Wolfgang Augustyn, sowie der Generalkonsul der Republik Polen in München, Andrzej Osiak, die Bedeutung der polnischen Malerkolonie sowohl für die Stadt München als auch für die polnische Kunstgeschichte hervorhoben, folgte eine kurze historische Einführung durch Anna Baumgartner. Darauffolgend gaben insgesamt fünf Vorträge und eine Podiumsdiskussion Einblick in das Schaffen und die Rezeption ausgewählter Vertreter der sogenannte Münchner Polenkolonie.
Das erste Panel gestalteten die Kunsthistorikerin Aleksandra Krypczyk-De Barra und die Chemikerin Anna Klisińska-Kopacz (beide Nationalmuseum Krakau) und widmeten sich in ihrem zweigeteilten Vortrag dem Wirken Maksymilian Gierymskis (1848-1874). Grundlage ihrer Präsentation war das am Nationalmuseum in Krakau gerade abgeschlossene Projekt „The Work of Maksymilian Gierymski in the Context of the Art of Polish Artists in Munich in 1867-1900", in dem unter Leitung von Aleksandra Krypczyk-De Barra das Oeuvre Gierymskis neu untersucht wurde. Durch die Arbeit in polnischen und deutschen Archiven, Museen und Auktionshäusern konnte der aktuelle Forschungsstand systematisiert und neu interpretiert werden. Des Weiteren widmete sich das Forschungsteam der Suche nach verschollenen oder zerstörten Gemälden Gierymskis. Zum Projekt gehörten ebenfalls Untersuchungen seiner Bilder mithilfe von UV-Fluoreszenzaufnahmen, Röntgenanalysen und weiteren nichtinvasiven Methoden. Die Ergebnisse dieser Analysen wurden bereits 2014 in einer Ausstellung im Krakauer Nationalmuseum präsentiert. [1]
Der zweite Vortrag war zwei polnischen, in München tätigen Künstlerinnen gewidmet. Marta Kościelniak (Lenbachhaus München) stellte mit ihrem Beitrag Olga von Boznańskas und Otolia Gräfin Kraszewskas künstlerische Positionen am Kreuzungspunkt München ihr an der LMU München entstandenes und bereits abgeschlossenes Dissertationsprojekt vor. Mit Ansätzen aus der Migrationsforschung und mit einem transnationalen Fokus untersuchte sie das Wirken der Künstlerinnen, die beide im geteilten Polen geboren worden waren, den Großteil ihrer künstlerischen Laufbahn jedoch außerhalb ihrer Heimat verbracht hatten. Kościelniak nahm die Adaptionsstrategien Boznańskas und Kraszewskas innerhalb des europäischen Kunstgeschehens in den Blick und zeigte auf, dass beide zur ersten Malerinnengeneration in München gehörten, die von ihrem Schaffen leben konnte, und somit als Pionierinnen den weiteren Weg für nachfolgende Künstlerinnen mitebneten.
Den Abschluss des ersten Workshoptages machte die Podiumsdiskussion: Eine Frage der Wahrnehmung. Zur Rezeption der „Münchner Polen" und der polnischen Kunst(geschichte) in Deutschland. In ihrem den Workshop einleitenden historischen Überblick hatte Anna Baumgartner bereits ihr Unbehagen bezüglich einer stark nationalen Rezeption geäußert, die bis heute vielfach in den Publikationen zur Münchner Polenkolonie dominiert und durch transkulturelle Ansätze durchbrochen werden sollte. Daran knüpften auch die Diskutanten auf dem Podium an. Angeführt von einem Plädoyer von Wojciech Bałus (Jagiellonen-Universität Krakau) waren sie sich darüber einig, dass das in Polen vorherrschende nationale Paradigma überwunden werden sollte. Aleksandra Lipińska (LMU München) führte an, man müsse sich davon lösen, stets nach dem „nationalen Charakter" in der Malerei der „Münchner Polen" zu suchen und sollte stärker die Parallelen zu anderen nationalen Künstlergruppen und Strömungen in den Blick nehmen. Bis heute bestehe der Bedarf, die einzelnen nationalen Künstlergruppen Münchens multiperspektivisch zu betrachten, brachte Moderator Christian Fuhrmeister (ZIKG) in die Diskussion ein. León Krempel (Kunsthalle Darmstadt), welcher den musealen Kontext in der Diskussion vertrat, machte ferner darauf aufmerksam, dass es auch im Ausstellungsbereich interessant sei, neue transnationale Ansätze zur Präsentation von Kunstwerken zu erarbeiten.
Der zweite Konferenztag begann mit einem Vortrag von Eliza Ptaszyńska (Bezirksmuseum Suwałki), in welchem sie die von ihr und ihrer Institution organisierten Ausstellungen und Projekte präsentierte. [2] Das Bezirksmuseum im ostpolnischen Suwałki besitzt den Nachlass und zahlreiche Gemälde des 1849 dort geborenen Alfred Wierusz-Kowalski, der neben Brandt zum Hauptvertreter der Münchner Polenkolonie wurde. Seine Popularität als Künstler brachten ihm seine beim Bürgertum beliebten „polnischen" Themen mit Darstellungen des polnischen Landlebens, Schlittenfahrten im Winter und Wölfen in verwehten Schneeebenen ein. Der Vortrag verwies zudem auf die Präsenz des Künstlers in zahlreichen Ausstellungen des 19. Jahrhunderts.
Die darauffolgenden zwei Vorträge des Vormittags widmeten sich Józef Brandt (1841-1915), der führenden Figur der Polenkolonie, welcher 1862 nach München gekommen war und Schlachten zwischen Polen, Kosaken, Tataren oder Türken aus dem 17. Jahrhundert thematisierte. Ab Mitte der 1870er Jahre wurde er zudem mit farbenfrohen Ukraine-Bildern bekannt, mit denen er an die frühere territoriale Weite Polen-Litauens erinnerte.
Zunächst präsentierte Anna Baumgartner (GSOSES, LMU München) die Hauptthesen ihrer Dissertation, in der sie unter Hinzuziehung postkolonialer Ansätze diskutiert, wie Brandt mit seinen Kompositionen zur polnischen Geschichte des 17. Jahrhunderts durch formale Anknüpfungen an die Malerei des Orientalismus in ganz Europa populär werden und die mit der polnischen Landschaft und Geschichte nicht vertrauten Betrachter in „märchenhafte" und „exotische" Welten entführen konnte. Eine Frage, der sie dabei nachgeht, ist die nach der (Selbst)Orientalisierung des Polnischen. Für ihre Bildanalysen untersucht Baumgartner polnische Zeitungen wie den Tygodnik Ilustrowany und Czas sowie die deutschen Kunstblätter Die Dioskuren, Kunstchronik und Die Kunst für alle und fragt nach Eigen- und Fremdstereotypien in der Rezeption Brandts.
Das grafische Werk Brandts stand wiederum im Fokus des Vortrags von Agnieszka Bagińska (Nationalmuseum Warschau). Dieses wurde im Rahmen der Vorbereitungen für die seit Juni 2018 im Nationalmuseum Warschau und dann im Posener Nationalmuseum präsentierte monografische Ausstellung sowie des geplanten Werkverzeichnisses Brandts neu bewertet. [3] Als Mitglied des Ausstellungsteams gab Bagińska einen Einblick in ihre Forschungsergebnisse und in die Herangehensweise bei der Identifizierung und Einordnung von 330 Papierskizzen und Aquarellen des Künstlers. Zudem setzte sie Brandts Zeichnungen in Bezug zu seinen Malwerken und ging auf seinen Werkprozess ein.
Den Abschluss des Workshops machte die Konservatorin Anna Lewandowska (Nationalmuseum Warschau). In ihrem Vortrag beschäftigte sie sich mit der Problematik der Restaurierung der Werke von Aleksander Gierymski. Der jüngere Bruder von Maksymilian und Absolvent der Münchner Akademie gilt als der wichtigste Vertreter des Übergangs der polnischen Malerei zum Luminismus. Seine Gemälde, die lange Zeit in konservatorisch ungünstigen Bedingungen lagerten, wurden in den letzten Jahrzehnten intensiven Restaurierungsarbeiten unterzogen. Der Vortrag brachte einen technischen Blick auf die Problematik der deutsch-polnischen Malerei in die Diskussion ein. Lewandowska wies zudem darauf hin, dass der Maler im Hinblick auf die Farbgestaltung und Oberflächenbearbeitung seiner Gemälde viele Anregungen aus der Münchner Akademie erhalten hatte. [4]
Die vielleicht wichtigsten Fragen der Tagung, die an die Podiumsdiskussion des Vortages anknüpften, wurden in der Abschlussbetrachtung behandelt. So wurde hier erneut und nun mit Rückblick auf die verschiedenen Projektpräsentationen diskutiert, wie in Bezug auf die Malerei der Münchner Polen Begrifflichkeiten wie „patriotisch", „national", „Identität" oder „Selbstbestimmung" zu behandeln seien und wie diese von früheren Rezeptionen geprägt sind.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es auf dem Workshop gelang, verschiedene Experten aus dem wissenschaftlichen und dem musealen Arbeitsfeld aus unterschiedlichen Ländern mit divergierenden Forschungstraditionen und Arbeitsmethoden zusammenzubringen und einen Austausch anzustoßen. Hierbei wurde nicht nur der jeweils aktuelle Forschungsstand vorgestellt, sondern es gelang darüber hinaus auch, methodische Differenzen zu diskutieren und die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Ansätze gegeneinander abzuwägen. Es trat in diesem Prozess deutlich zutage, dass die musealen Einrichtungen in Polen derzeit unter Einbezug naturwissenschaftlicher Methoden und einer erneuten Prüfung der Quellenlage eine Neubewertung der Werke der jeweiligen Künstler anstreben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem universitären Bereich bemühen sich wiederum um vergleichende Ansätze sowie um die Hinterfragung von Begrifflichkeiten und bestehender Rezeptionsschemata. Auch wenn dekonstruktivistische und vergleichende Ansätze für die Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts nicht neu sind, so stellen sie doch eine hochinteressante und notwendige Interpretationsgrundlage für die Malerei der Münchner Polen sowie den ostmitteleuropäischen Raum dar. Offensichtlich war dabei, dass die Forschung hierzu noch an ihrem Anfang steht.
[1] Aleksandra Krypczyk (Hg.): Maksymilan Gierymski. Dzieła, inspiracje, recepcja. Works, inspiration, reception, Kraków 2014.
[2] Ptaszyńska hat in den letzten Jahren mehrere Konferenzen, Ausstellungen und Publikationen initiiert. Zuletzt erschienen: Ateny nad Izarą. Malarstwo monachijskie; studia i szkice. Athen an der Isar. Münchner Malerei; Studien und Skizzen, Suwałki 2012; Egzotyczna Europa. Kraj urodzenia na płótnach polskich monachijczyków. Das Exotische Europa. Heimatvisionen auf den Gemälden der polnischen Künstler in München, Suwałki 2015.
[3] „Józef Brandt 1841–1915" lief vom 22. Juni bis zum 30. September 2018 im Warschauer Nationalmuseum und vom 21. Oktober 2018 bis zum 6. Januar 2019 im Nationalmuseum in Posen.
[4] Ihre Ergebnisse veröffentlichte sie im neuesten Katalog zum Künstler: Aleksander Gierymski 1850-1901, Warszawa 2014.