Der Ertrag des mehrjährigen deutsch-polnischen Forschungsprojektes „Bild und Konfession. Funktionen und Konzepte von Bildern im Zeitalter der konfessionellen Formierungsprozesse in Mitteleuropa" liegt nun als ein reich illustrierter Band vor. In vier monografischen Fallstudien beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren mit der Rolle von Kunstwerken im Prozess der Herausbildung und Festigung der konfessionellen Identitäten seit der Reformation bis zur Mitte des 17. Jh. Neben klassischen Vertretern konfessioneller Bildträger wie Retabeln und Grabdenkmälern werden hier bislang wenig beachtete Gegenstände aus dem privaten Bereich nach ihrem konfessionell geprägten Gehalt und ihrem Einfluss auf den Betrachter befragt. Den gemeinsamen Ausgangspunkt der Untersuchungen bildet die Annahme, dass Kunstwerke den Vermittlungsprozess von neuen wie auch altbekannten Glaubensinhalten nicht nur verarbeitet, sondern auch mitgestaltet und mitgeprägt haben. Mit diesem fast sozialhistorischen Ansatz sollen die vorliegenden Studien auch über den eigenen Fachbereich hinaus benachbarte geisteswissenschaftliche Disziplinen, insbesondere die historische und kirchenhistorische Forschung, ansprechen.
Diese Absicht unterstützt die ausführliche Einführung der Hrsg. in den Themenbereich, die auch Leser ohne einschlägige Erfahrung miteinbezieht. Einen raschen Zugang zu den zentralen Aussagen der jeweils ca. 100 Seiten umfassenden Beiträge ermöglichen zudem Zusammenfassungen am Ende eines jeden Beitrags, was ebenfalls interdisziplinären Interessen entgegenkommt.
War bislang das Augenmerk kunstwissenschaftlicher Fragestellungen stärker auf die katholische, nachreformatorische Bildpolitik ausgerichtet, so berücksichtigen diese Studien nun explizit, jedoch nicht ausschließlich, den Umgang der anderen, der lutherischen Seite mit der Visualisierung von konfessionsgebundenen Glaubensinhalten anhand von Bildwerken. Das deutsch-polnische Kunsthistorikerteam greift damit ein wichtiges Desiderat insbesondere hinsichtlich der Reformationsprozesse im östlichen Mitteleuropa auf. Diese geografische Verortung des Forschungsschwerpunkts, vor allem in Polen, soll nicht nur die Anwendbarkeit der Konfessionalisierungsforschung – im Sinne fundamentaler ethischer und religiöser Prägung der Gesellschaft – auf Gebiete abseits des Kerngeschehens aufzeigen, sondern primär auch der räumlichen Erweiterung der Forschungsgrundlage des Themenbereiches dienen. Die von den Hauptereignissen der Reformation zeitlich distanzierte Betrachtungsperspektive, die sich ganz pragmatisch aus dem Entstehungszeitraum der exemplarischen Kunstwerke zumeist im letzten Drittel des 16. Jh. ergab, war eine weitere, durchaus günstige Voraussetzung, um Reichweiten und Auswirkungen dieses Ereignisses in Bildmedien deutlicher fassen und benennen zu können. Angesichts der standesbewussten Auftraggeber in den hier berücksichtigten Städten Posen (Poznań), Breslau (Wrocław) und Nürnberg gilt es, auch ständische und repräsentative Aussagen der im religiösen Kontext entstandenen Kunstwerke zu beachten. Als besonders aussagekräftig erweist sich diesbezüglich die vergleichende Gegenüberstellung von zwei zur gleichen Zeit in derselben Werkstatt entstandenen Grabdenkmälern im Auftrag eines lutherischen (Andrzej I. und Barbara Górka, 1547) und eines katholischen Stifters (Adam Konarski, 1575-1576), die schließlich auch an demselben Ort, im Dom zu Posen, Aufstellung fanden (Aleksandra Lipińska). Weder führte die offene Konkurrenzsituation dazu, dass konfessionelle Gestaltungselemente über Gebühr in den Vordergrund gerückt worden wären, noch heben sich die Denkmäler in ihren Darstellungsformen grundlegend voneinander ab. Zu ähnlichen Feststellungen kommen auch andere Autoren in diesem Band. Im Falle der schlesischen Hauptstadt Breslau beobachtet Jan Harasimowicz anhand der formalen und inhaltlichen Ausgestaltung dreier herausragender, für lutherische Sakralbauten bestimmter Kunstobjekte sogar eine ausdrückliche Bereitschaft zum interkonfessionellen Dialog. Durch konfessionsübergreifende, gelehrte Bildprogramme, die auf tradierte Formen zurückgreifen, werden auch die drei von Marcin Wisłocki vorgestellten Retabel-Stiftungen dreier pommerscher Herzöge – Barnims IX., Johann Friedrichs von Pommern-Stettin und Philipps II. von Pommern-Stettin – charakterisiert. Durch die reformatorische Stärkung des Wortes und seine nun bessere Zugänglichkeit begünstigt, brachte man nun hingegen in privat genutzten Bildmedien wie Familienbibeln das neue konfessionelle Bekenntnis klar zum Ausdruck. Maria Deiters zeigt dies detailliert am Beispiel der Pfinzing-Bibel der gleichnamigen Nürnberger Patrizierfamilie.
Die hier gewonnenen Erkenntnisse brechen klischeehafte Vorstellungen von einengender Bildpolitik der Konfessionen deutlich auf und zeigen stattdessen auf beiden Seiten eine erstaunliche Vielfalt und kompromissbereite Elastizität im praktischen Umgang und Einsatz künstlerischer Mittel zur Verbildlichung von Glaubensinhalten im sakralen wie privaten Bereich. Das Fortführen traditioneller künstlerischer und ständischer Ausdrucksweisen unterstreicht den nur allmählichen und zeitintensiven Anpassungsprozess im Kunstgeschehen.
In der jüngst erschienenen, thematisch verwandten Studie von Jens Baumgarten zur Anwendung theoretischer und programmatischer Bildkonzepte zwischen Macht und Konfession u.a. auch in Schlesien vermisst Christian-Erdmann Schott den unmittelbaren Objektbezug. [1] Die in dem vorliegenden Band an Bildquellen erbrachten Nachweise einer ausgeprägt visuellen Kultur des Konfessionalisierungszeitalters bieten daher grundlegende Voraussetzungen für weitere inhaltliche Auseinandersetzungen. Vor allem tragen die Projektergebnisse zu einer zunehmenden kunstwissenschaftlichen Erschließung von wenig bekannten, für einen breiten Forscherkreis relevanten materiellen Kunstgegenständen und ihrer historischen wie auch forschungsgeschichtlichen Kontexte im östlichen Europa bei. Auf dieser Basis wäre die Ausweitung vergleichbarer Fragestellungen auch auf Kunstgeschehnisse bis in die nordöstlichen Regionen Europas denkbar. Der Blick beispielsweise auf Livland, wo sich nach frühen und heftigen reformatorischen Bilderstürmen eine durchaus bildfreudige lutherische Glaubenspraxis etablierte [2], könnte den Kernaussagen des Bandes zusätzlichen Nachdruck verleihen.
[1] Christian-Erdmann Schott: Rezension von Jens Baumgarten: Konfession, Bild und Macht. Visualisierung als katholisches Herrschafts- und Disziplinierungskonzept in Rom und im habsburgischen Schlesien (1560-1740), München – Hamburg 2004, in: sehepunkte 5 (2005), 9, URL: http://www.sehepunkte.de/2005/09/5540.html (15.08. 2014).
[2] Sergiusz Michalski: „Hölzer wurden zu Menschen". Die reformatorischen Bilderstürme in den baltischen Landen zwischen 1524 und 1526, in: Matthias Asche, Werner Buchholz (Hrsg.): Die baltischen Lande im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, Teil 4, Münster 2012, S. 147-163.
Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 64 (2015) H. 3.