Kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Polen waren und sind Thema zahlreicher wissenschaftlicher und populärer Beiträge. Viele davon bleiben stehen bei diffusen Umschreibungen, um nicht zu sagen, Umschiffungen der eigentlichen Fragestellung und leiden außerdem an einer (allzu) einseitigen Perspektive auf die Eigenheiten der jeweils „anderen“. Nur selten unternehmen Autoren den Versuch, die Kulturunterschiede der beiden Nachbarn tatsächlich miteinander zu vergleichen, Gemeinsames und Gegensätzliches zu benennen, und, was noch wichtiger ist, den Standpunkt des jeweils Anderen dem Leser plausibel zu vermitteln.
Die meisten derjenigen, die sich mit der deutsch-polnischen Thematik befassen, gehören (mehr oder minder) dem einen oder dem anderen Kulturkreis an oder sind, wie der Autor der hier zu besprechenden Studie, mit beiden Kulturen vertraut. Dass die letztere Prämisse nicht unbedingt ein Garant für „Neutralität“ sein kann, weiß der Rezensent, ebenfalls ein Wanderer zwischen beiden Kulturen, aus eigener Erfahrung. Und dennoch vermag jemand, der eben beide Blickrichtungen kennt, zumindest mehr Verständnis für die jeweilige Argumentation zu entwickeln, als jemand, dem die Erfahrung der (Kultur-) Migration fehlt.
Tomasz G. Pszczółkowski legt hier eine Untersuchung zu Kulturunterschieden zwischen Deutschen und Polen aus vergleichender Perspektive vor. Er unternimmt den Versuch einer Bestandsaufnahme der bestehenden Forschung zur deutschen und polnischen Kultur beider Länder und schlägt als neuen Forschungsansatz eine Kulturkomparatistik vor, die seiner Meinung nach als eigenständiges Gebiet im Bereich der Kulturwissenschaft etabliert werden sollte. Der Akzent liegt dabei auf dem Kulturvergleich.
Der Begriff Komparatistik weist Pszczółkowski als Philologen aus. Gemeint ist damit jedoch keine Komparatistik im literaturwissenschaftlichen Sinne, sondern ein Vergleich aller kulturellen Erscheinungen und Gebiete beider Kulturen. Zunächst widmet sich der Autor jedoch umfassend der Problematik der Übersetzung und der Begriffsklärung. Dabei greift er nicht nur auf gedruckte, sondern auch auf digitale Quellen zurück. Häufig zieht er in seiner Studie Wikipedia zu Rate, freilich eingedenk dessen, dass diese unstete, da in ständigem Wandel befindliche, und zudem keineswegs zuverlässige Quelle bei der wissenschaftlichen Arbeit Probleme aufwirft. Die Erkenntnisse aber, die allein aus dem Vergleich der in den jeweiligen Sprachen sehr unterschiedlich ausfallenden Artikel dieses wohl inzwischen bekanntesten „Nachschlagewerks“ zu ziehen sind, erschließen neue, vielleicht in dieser Form bislang wenig bewusst gewordene Perspektiven, an denen die Forschung der Zukunft nicht vorbeigehen kann. Exemplarisch weist Pszczółkowski das etwa an den deutschen und polnischen Definitionen der Begriffe „Kultur“ und „Kulturwissenschaft“ nach. Weitere herangezogene Quellen sind (gedruckte) Wörterbücher und allgemeine Lexika. Schon der unmittelbare Vergleich der lexikalischen Begriffsdefinitionen von „Kulturwissenschaft“ und „kulturoznawstwo“ eröffnet eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten, gerade im Hinblick auf die eben nicht ganz identische Bedeutung der beiden Termini in der jeweiligen Sprache, auch wenn beide im Grunde genommen das selbe aussagen (sollen). Die Vergleichsperspektive setzt eine (möglichst) gleichmäßige Berücksichtigung beider Seiten voraus.
Pszczółkowski setzt seine Vergleiche fort und benennt Unterschiede und Gemeinsamkeiten zahlreicher Einzelkulturen, von der Auto- bis zur Wohnkultur aus deutscher und polnischer Sicht. Dabei weist er darauf hin, dass es zu zahlreichen deutschen Termini (umgekehrt ist das seltener der Fall) keine direkten polnischen Äquivalente gibt (etwa: „Freikörperkultur“, „Weinkultur“). In einigen Fällen fordert die Interpretation des Autors zur Diskussion heraus, beispielsweise wenn es darum geht, ob das Auto in Polen eher pragmatisch als Fortbewegungsmittel gesehen wird, während die Deutschen als bekannte Autonarren eine weitaus innigere Beziehung zu ihrem Gefährt haben sollen. Dass in Polen vor der Wende gerade ein ausländisches (westliches) Auto ein beachtetes Statussymbol war, hat sich nur insoweit geändert, dass sich die Vergleichsparameter nunmehr von der Herkunft weg in Richtung Marke und Ausstattung verschoben haben. Nicht von ungefähr dürfte es kommen, dass zumindest im Raum Poznań (Posen), der Heimat des Rezensenten, das Auto bis heute umgangssprachlich als „gablota“ (= „Schaukasten“) bezeichnet wird, freilich mittlerweile eher von der Generation 50 plus. Dennoch dürfte das für die Bedeutung des Gefährts als Instrument der Zurschaustellung des eigenen (bescheidenen) Wohlstands sprechen. Und wenn ich mir die Gespräche meiner in der freien Wirtschaft tätigen Freunde in Berlin anhöre, die sich stundenlang im Vergleich der Ausstattung ihrer Dienstwagen ergehen können, komme ich schnell zu dem Schluss, dass ungeachtet subtiler Unterschiede die Gemeinsamkeiten in diesem Fall doch überwiegen.
Einen größeren Abschnitt widmet Pszczółkowski zum Schluss dem bislang kaum erforschten Kulturvergleich VR Polen/DDR und auch der Sicht der heutigen Polen und der Ostdeutschen auf ihre sozialistische Vergangenheit. Die Studie gibt bewusst keine abschließenden Antworten. Sie zeigt auf, wie sehr die deutsch-polnische Kulturforschung noch in den Kinderschuhen steckt und gibt wertvolle Anregungen zur weiteren Beschäftigung innerhalb einzelner Fachdisziplinen und über dieselben hinaus. Es wäre ihr daher dies- und jenseits der Oder eine interdisziplinäre Aufmerksamkeit zu wünschen.