Die in den Jahren 1918-1938 existierende Kommunistische Partei Polens und ihre Mitglieder werden sowohl in der polnischen Historiographie als auch im kollektiven Gedächtnis eindeutig negativ beurteilt. Dabei wissen wir über die ersten Kommunisten nicht viel, denn ihre komplizierten Lebensläufe gehören nicht zu den beliebtesten Themen der zeitgeschichtlichen Forschung in Polen.[1] Viele von ihnen wären wahrscheinlich endgültig in Vergessenheit geraten, wäre nicht das Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) 2007 dafür eingetreten, nach Kommunisten benannte Straßen in Polen zu „de-kommunisieren“.[2]
Ins Visier des IPN geriet unter anderem die Helena-Kozłowska-Straße in Warschau – eine Straße mit nur einer einzigen Hausnummer. Für Kozłowskas Enkelin, die Regisseurin und Essayistin Aleksandra Domańska, war das ein Grund, sich mit der Biographie ihrer Großmutter näher auseinanderzusetzen.
Die Spurensuche war schon alleine dadurch erschwert, dass Domańskas Großmutter in Wirklichkeit Bela Frisz hieß. Aus Konspirationsgründen lebte sie als Helena Kozłowska, mit einem anderen Geburtsdatum und -ort, anderen Elternnamen und einem anderen Geburtsnamen (S. 9). Domańska selbst nannte sie nie ‚Großmutter', sondern ‚Tante Ola'.
Aus Mangel an Quellen und an Familienerinnerungen konnte die Autorin die Lebensgeschichte von ‚Tante Ola' nicht vollständig rekonstruieren. Es war jedoch nicht ihr Ziel, eine wissenschaftliche Biographie zu schreiben oder für den ‚guten Namen' von Frisz-Kozłowska zu kämpfen. Vielmehr wollte sie verstehen, warum ihre Großmutter das ganze Leben dem Kommunismus verschrieb. Da Frisz-Kozłowska kaum autobiografisches Material hinterlassen hat, stützte sich die Autorin auf Memoiren von Kozłowskas Zeitgenossen, auf literarische Werke und auf wissenschaftliche Monographien. Entstanden ist dabei ein Essay über die erste Generation der polnischen Kommunisten, über die heutige Erinnerung an sie, über das Leben der jüdischen Bevölkerung in Polen, und schließlich über Frauen jüdischer Herkunft, die zu kommunistischen Aktivistinnen wurden.
Bela Frisz (1906-1967) stammte aus einer jüdischen, sehr gläubigen Familie aus Oświęcim. Die Autorin vermutet, dass Bela schon als sehr junges Mädchen in linksorientierten Organisationen aktiv gewesen sei. Da junge Menschen jüdischer Abstammung zu jener Zeit im Kommunismus nicht nur nach sozialem Aufstieg, sondern auch nach einer Lösung der „jüdischen Frage“ gesucht und gehofft hätten, dass der Kommunismus den Antisemitismus ausrotten werde (S. 31). Doch die Faszination vom Kommunismus bedeutete für junge jüdische Frauen, dass sie sowohl gegen ihre Herkunft, als auch gegen traditionelle Frauenrollen rebellierten, was zu starken Konflikten mit ihren Familien führte. Junge Kommunisten seien in ihren Familien, so Domańska, meistens ausgeschlossen und verachtet gewesen (S. 34). Bela Frisz vermutlich auch, denn um 1928 verließ sie Oświęcim zusammen mit dem kommunistischen Aktivisten und ihrem Lebensgefährten Olek Schönherz. Ohne vorher geheiratet zu haben, zogen sie in eine gemeinsame Wohnung in Krakau. Domańska nimmt an, dass dies für ihre konservative jüdische Familie einem Skandal gleichkam (S. 59).
In den 1930er Jahren war Bela Frisz, so vermutet die Autorin, schon eine „Berufsrevolutionärin“ im Soll der Kommunistischen Internationale (S. 80). Die Kommunisten agierten vorwiegend im Untergrund und absolvierten zahlreiche Gefängnisstrafen. Sie erfreuten sich nur geringer Popularität in der Gesellschaft, da sie die erst 1918 wiedergewonnene staatliche Unabhängigkeit Polens als vorübergehend verstanden und viel zu abhängig von Moskau gewesen seien. Die Autorin versucht deswegen an mehreren Stellen, die „Psyche der Revolutionäre“ (S. 84) zu verstehen, die sich trotz allem weiterhin in der KPP engagierten. Aus Mangel an Quellen beruft sie sich an diesen Stellen auf literarische Texte [3] oder auf autobiographische Materialien von Menschen, die vermutlich vor ähnlichen Problemen wie Bela Frisz standen.[4]
Die Vergleiche mit russischen Kommunisten in Domańskas Ausführungen überzeugen nur teilweise, was die Autorin selbst zugibt, denn der Kommunismus in Polen war nicht an ein riesiges Modernisierungsprojekt wie in der Sowjetunion gekoppelt. Domańska vermutet, dass die im Vergleich zu anderen Parteien relativ kleine Gruppe der polnischen Kommunisten einer geschlossenen Sekte ähnelte (S. 108). Als politische Gefangene bildeten sie auch in Gefängnissen eigene „Mikrogemeinschaften“ und verfestigten sich noch mehr in ihren Überzeugungen (S. 85).
Die in der zweiten Hälfte der 1930er Jahren von Stalin angeordneten „Säuberungen“ in der KPP überlebten sehr wenige polnische Aktivisten.[5] Die meisten von ihnen entgingen dem Tod, weil sie zu diesem Zeitpunkt in Gefängnissen in Polen waren – wie Bela Frisz. Sie wurde nach mehrjährigen Gefängnisaufenthalten erst Anfang 1939 entlassen.
Wahrscheinlich um 1942, so Domańska, habe Frisz intensive Kontakte zu anderen Kommunisten aufgenommen. 1941/42 kam aus Moskau eine „Initiativgruppe“ nach Polen, die eine neue kommunistische Plattform – die Polnische Arbeiterpartei (PPR) gründen sollte. Für die neue Partei waren solche eifrigen Aktivisten wie Frisz vor Ort von großer Bedeutung, sodass sie schon 1944 in die höchsten Parteigremien avancierte. Seitdem änderte Frisz nicht nur endgültig ihren Namen, sondern auch ihr gesamtes Leben. Sie war keine illegale Revolutionärin mehr. Jetzt wohnte sie in einer der besten Gegenden Warschaus, hatte einen eigenen Fahrer – sie gehörte zur Machtelite.
Domańska konnte kaum Quellen finden, die die Rolle ihrer Großmutter im Staatsapparat nach 1945 näher bringen könnten. Das wundert nicht, denn die Biographien der polnischen Kommunisten während des Stalinismus bleiben zum größten Teil unbekannt.[6] Dieser Teil des Buches erzählt also eine allgemeine Geschichte der Volksrepublik Polen. Über Kozłowska erfahren wir nur, dass sie für Propaganda und Jugendarbeit verantwortlich war. Während der Lektüre können sich viele Leser sicherlich zum Nachdenken eingeladen fühlen, was sie eigentlich von ihren eigenen Großeltern wissen – und was nicht.
Domańska fragt sich mehrfach, ob man durch die Beteiligung am Aufbau des Kommunismus auch für dessen Verbrechen verantwortlich war. „Warum hat Tante Ola das Böse unterstützt, das sie früher selbst erfahren hat?“ (S. 217) Aus Angst oder Opportunismus? Sie findet keine eindeutige Antwort. „Ich verstehe diese Biographie nicht“ – gibt sie zu (S. 138) und ist froh, keine Historikerin zu sein, denn sonst müsste sie alle Vermutungen über ihre Großmutter wissenschaftlich belegen (S. 152).
Die unbelegten Vermutungen, die Verknüpfungen von literarischer Fiktion und der Realität sind an manchen Stellen des Buches etwas irritierend. Jedoch liegt unzweifelhaft in der Thematisierung der Problematik der „Judenkommune“ (Żydokomuna), also der antisemitisch geprägten Überzeugung vom überproportional hohem Engagement von Personen jüdischer Herkunft im kommunistischen Regime Polens ein großer Wert. Domańska schreibt darüber durch das Prisma einer Jüdin, die sich weder in der jüdischen, noch in der polnischen nationalen und religiösen Tradition wohlfühlt, und nach einem alternativen Lebensweg sucht. Jeder hat Recht auf seine Utopie und seinen Weg zur Revolution, schreibt die Autorin an mehreren Stellen. Sie vergleicht den Kampf um soziale Gerechtigkeit der jungen Kommunisten mit dem der Solidarność-Mitglieder (S. 54). Sie sieht in ihren Protagonisten ähnliche linksorientierte Revolutionäre wie jene aus dem 19. Jahrhundert, die Bohdan Cywiński in „Genealogie der Unbeugsamen“ beschrieben hat.[7] Damit beruft sie sich auf eine intellektuelle Tradition, an die vor allem die linke Opposition um Jacek Kuroń und Adam Michnik anknüpften, die aber kaum mit der ersten Generation der Kommunisten aus der KPP in Verbindung gebracht wurde (S. 79). Schließlich bemerkt sie provokativ, dass die polnischen Kommunisten während des Zweiten Weltkriegs viele Gewalttaten begangen haben. „Aber andererseits ist es mir bisher nie eingefallen, die Aufständischen des Warschauer Aufstandes zu fragen, ob sie Blut an den Händen haben“ (S. 170). Mit den Fragen nach Schuld und Mitverantwortung leistet Domańska einen Beitrag zu der aktuellen Diskussion auch über die polnisch-jüdischen Beziehungen [8] und lädt ein, einmal gefällte Urteile über die Zeitgeschichte Polens nochmals zu überdenken. Das Buch empfiehlt sich somit sowohl für Historiker als auch für interessierte Laien.
[1] Die überwiegende Mehrheit der Publikationen über die Kommunistische Partei Polens (bis 1925 Kommunistische Arbeiterpartei Polens, KPRP) entstand noch in der Volksrepublik Polen und ist somit heutzutage nur bedingt verwendbar. Zum neusten Forschungsstand siehe Krystyna Trembicka: Między utopią a rzeczywistością. Myśl polityczna Komunistycznej Partii Polski (1918-1938). Lublin 2007.
[2] Die offiziellen Schreiben des IPN an regionale Behörden sind zu finden auf der IPN-Homepage: http://ipn.gov.pl/najwazniejsze-wiadomosci/komunik... (letzter Zugang: 25.10.2013).
[3] Vor allem Stanisław Brzozowski: Płomienie. Lwów 1908; Bohdan Czeszko: Pokolenie. Warszawa 1963.
[4] Alina Cała (red.): Ostatnie pokolenie. Autobiografie polskiej młodzieży żydowskiej okresu międzywojennego ze zbiorów YIVO Institute for Jewish Research w Nowym Jorku. Warszawa 2003.
[5] Siehe dazu Swetlana Rosental: Repressionen gegen polnische und britische Kommunisten. Ihre Widerspiegelung in den Dokumenten des Kominternarchivs. In: Michael Buckmiller/Klaus Meschkat (Hrsg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale. Ein deutsch-russisches Forschungsprojekt. Berlin2007, S. 346-360.
[6] Zu den zuletzt in Polen veröffentlichten Ausnahmen gehören die Monografien von Joanna Nalewajko-Kulikow: Obywatel Jidyszlandu. Rzecz o żydowskich komunistach w Polsce. Warszawa 2009; und von Anna Sobór-Świderska: Jakub Berman – biografia komunisty. Warszawa 2009. Siehe auch: Jaff Schatz: The Generation. The Rise and Fall oft he Jewish Communists of Poland. Berkeley 1991; Marci Shore: Caviar and Ashes. A Warsaw Generation's Life and Death in Marxism, 1918-1968. New Haven/London 2006.
[7] Bohdan Cywiński: Rodowody niepokornych. Warszawa 1971.
[8] Vgl. Szymon Rudnicki: Pawła Śpiewaka droga przez mękę. Od „Żydokomuny" do żydokomuny. In: Kwartalnik Historii Żydów/Jewish History Quarterly 4(244)/2012, S. 603-619; Paweł Śpiewak: Żydokomuna. Interpretacje historyczne. Warszawa 2012; Agata Tuszyńska: Rodzinna historia lęku. Kraków 2005; Marcin Zaremba: Wielka Trwoga. Polska 1944-1947. Ludowa reakcja na kryzys. Warszawa 2012.