Das Ziel der Analyse war die Erforschung des Schwundes der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in den Mundarten der polnischen Großstädte im ehemals deutsch-polnischen Grenzgebiet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hierzu wurden die Einwohner der Städte Posen, Bromberg, Thorn und Danzig befragt, die zu der autochthonen Bevölkerung gehören. Die Befragten wurden in drei Altersgruppen eingeteilt: die Generation der Großeltern (im Alter von über 65 Jahren), die Generation der Eltern (im Alter von 35-45 Jahren) sowie die Generation der Enkel bzw. der Kinder (im Alter von 15-20 Jahren). In den Fragebögen mit jeweils 50 stadtspezifischen Lexemen wurde nach der Kenntnis und nach dem Gebrauch dieser Lexeme gefragt. Es ergab sich, dass der Schwund der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen das Ergebnis des Untergangs der polnischen Mundarten ist. Mit diesen Mundarten schwand auch die mundartlich gebrauchte Lexik deutscher Herkunft, die die jüngste Generation deshalb bei Weitem nicht so gut beherrscht wie die älteste. Außerdem fehlt der alltägliche Kontakt mit den deutschen Nachbarn.
Hanna Biadun-Grabarek (2013)
Zum Schwund der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in den Mundarten der polnischen Großstädte im ehemals deutsch-polnischen Grenzgebiet
- Published: 23.02.2015
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Zum Schwund der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in den Mundarten der polnischen Großstädte im ehemals deutsch-polnischen Grenzgebiet (1882)
Reviewed by Dr. Barbara Jańczak
- Published: 02.09.2015
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Reviewed by
Dr. Barbara Jańczak
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Edited by
Dr. Małgorzata Szajbel-Keck
- DOI: 10.11584/opus4-965
Hanna Biaduń-Grabarek widmet ihre Monographie der Frage nach Kenntnis und Gebrauch von Germanismen, genauer gesagt lexikalischen Entlehnungen aus der deutschen Sprache, in Stadtmundarten vier ausgewählter Untersuchungsorte (Posen, Bromberg, Thorn und Danzig). Die Frage nach dem Schwund der deutschen Entlehnungen steht im Zusammenhang mit dem Schwund von Stadtmundarten in Polen allgemein.
Die Autorin Hanna Biaduń-Grabarek arbeitet am Institut für Skandinavistik und Angewandte Linguistik der Danziger Universität und forscht u.a. auf dem Gebiet der deutschen Syntax, der Methodik von DaF und deutsch-polnischer Sprachkontakte. Gerade die deutsch-polnischen Sprachkontakte auf Grund der geschichtlich bedingten Koexistenz von Deutschen und Polen und die resultierenden lexikalischen Entlehnungen in der polnischen Alltagssprache stehen im Mittelpunkt dieser Arbeit.
Biaduń-Grabarek behandelt ihr Forschungsthema mehrdimensional und bewegt sich auf den Gebieten der Dialektologie, (Sprach-)Geschichte und Soziolinguistik, wobei die zwei ersteren in den Vordergrund der Analyse rücken. Die Diskussion über Gleichbedeutung der Termini ‚Mundart' und ‚Dialekt' (Kap. 1 Zur Sprachschichtung, S. 11-24) und die Klassifikation der Arten von Wortübernahme (Kap. 2 Zur Übernahme fremden Wortgutes, 25-47) bilden den theoretischen Rahmen für die empirisch gestützte Datenanalyse. Im theoretischen Teil werden auch deutsche Siedlungsgeschichte und ihr Einfluss auf die Übernahme der lexikalischen Entlehnungen behandelt. Die von der Autorin aufgestellte Forschungshypothese, dass die Kenntnisse der Germanismen von Generation zu Generation sinken (S. 115), wird in Folge der logisch durchgeführten Auswertung des empirischen Materials verifiziert (S. 216).
Deutscher Siedlungsgeschichte wird relativ viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die in dem Kapitel Zur Geschichte der deutschen Siedlung im südlichen Ostseeraum (Kap. 3, S. 49-92) besprochenen Sachinhalte könnten aus Perspektive eines polnischen Sprachwissenschaftlers als zu historisch und detailliert bzw. zu wenig linguistisch orientiert erscheinen. Sie werden jedoch besonders der deutschen Leserschaft dazu verhelfen, den historischen Hintergrund deutsch-polnischer Sprachkontakte (Kap. 4 Zur Geschichte der deutsch-polnischen Sprachkontakte, S. 93-103) zu verstehen. Empfehlenswert wäre vielleicht eine stärkere Stützung der Analyse der deutschen „Ostkolonisation" (S. 8) auf wissenschaftlich fundierte Geschichtswerke und Statistiken. Diese Tatsache spielt jedoch in Bezug auf die Auswertung des Datenmaterials der sprachwissenschaftlich ausgerichteten Monographie eine sekundäre Rolle.
Die im Rahmen der Monographie präsentierten Untersuchungsergebnisse zu Kenntnis und Gebrauch deutscher lexikalischer Entlehnungen von „autochthoner Bevölkerung" (S. 9) aus Poznań, Bydgoszcz, Toruń und Gdańsk (dt. Posen, Bromberg, Thorn und Danzig),Großstädte mit über 200 000 Einwohner, sind nur ein Teil eines größeren Forschungsprojektes, das in 15 Ortschaften unterschiedlicher Bevölkerungsgröße durchgeführt wurde (S. 106). Die Methode der Untersuchung wird im Kapitel 5 Methodologisches (S. 105-115) erläutert. Die Wahl der Untersuchungsorte wurde nach dem Schlüssel „Städte des ehemals deutsch-polnischen sprachlichen Grenzgebietes, in dem Deutsche und Polen nebeneinander lebten und beide Sprachen zumindest in der Alltagskommunikation (zumindest von den Polen) gebraucht wurden" (S. 105) getroffen. Wenn auch die Bedeutung des Terminus „Grenzgebiet" nicht weiter definiert wird, ist die geopolitische Zuordnung der Gebiete auf der geschichtlichen Zeitachse sehr präzise festgelegt. Die Städte mussten (1). im Mittelalter zu Polen, zeitweise zu Brandenburg oder dem Deutschen Orden und (2.) in der Zeit der Teilungen Polens zum von Preußen annektierten Teil gehört haben, (3.) „in der Zwischenkriegszeit außerhalb des deutschen Staates (gelegen haben, B.J.), wobei nur die Freie Stadt Danzig nicht in Polen lag", (4.) während des II. Weltkrieges zum Deutschen Reich gehört haben und (5.) seit dem Kriegsende zu Polen gehören (S. 8f.). Die Untersuchung wurde quantitativ in Form einer Fragebogenaktion durchgeführt. Die Auswahl der Befragten erfolgte anhand der Faktoren Abstammung und Alter. Befragt wurde „autochthone Bevölkerung", d.h. solche Bewohner, „die oder deren Vorfahren nicht aus anderen Teilen Polens zugewandert sind oder aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten umgesiedelt wurden" (S. 9). Die Befragten wurden in drei Altersgruppen eingeteilt: Generation der Großeltern (über 65), Generation der Eltern (35-40) und Generation der Enkel (15-20). In jeder Stadt wurden jeweils 50 Personen aus jeder der Altersgruppen untersucht, womit insgesamt eine Anzahl von 600 Befragungen erreicht wurde.
Die Auswertung der Studie erfolgt strikt systematisch. Biaduń-Grabarek bespricht der Reihe nach die Forschungsergebnisse aus Posen, Bromberg, Thorn und Danzig. Die logische Struktur jedes Unterkapitels ist identisch: (1.) ein Abriss der jeweiligen Stadtgeschichte (unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-polnischen Kontakte), (2.) eine Festlegung der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen (inkl. ihrer Bedeutung und Beispiele des Gebrauchs) in der jeweiligen Stadtmundart, (3.) eine Präsentation der Untersuchungsergebnisse (unter Berücksichtigung der Kenntnis der Lexeme, der Angaben zum aktiven Gebrauch und der Fähigkeit, Beispiele zu nennen) und (4.) ein Ausblick. Die Analyse des Materials erlaubt, die am Anfang des Buches aufgestellte Hypothese zu verifizieren. Die Kenntnis der Germanismen und ihr aktiver Gebrauch ist bei der älteren Generation am stärksten ausgeprägt und sinkt mit dem Alter, wobei die gravierendsten Unterschiede in der Kenntnis der Lexeme zwischen der mittleren und jüngsten Generation festzustellen sind (S. 216, 218). Anhand der durchgeführten Untersuchung kommt Biaduń-Grabarek zum Schluss, dass „eine fest eingeprägte Mundart" nur in Posen, eine „bedingte Mundart" in Bromberg und „mundartlich gefärbte Alltagssprache" in Thorn feststellbar seien (S. 216). Die Annahme des Vorhandenseins einer Mundart in Danzig musste anhand der Ergebnisse falsifiziert werden (ebd.).
Aus soziolinguistischer Perspektive hätten Fragen nach dem Zusammenhang zwischen sozialer Schichtzugehörigkeit der Befragten (und ihrer Vorfahren) und Kenntnis bzw. Gebrauch von Stadtmundarten, sowie nach der Zahl der Befragten der ältesten Generation, die noch in deutschen Schulen eingeschult wurden, nahe gelegen werden. Diese Determinanten hätten die Interpretation der Ergebnisse vertiefen können, wurden jedoch weder in der Methodologie noch der Auswertung weiter berücksichtigt.
Dies mindert jedoch keinesfalls den wissenschaftlichen Wert dieser erkenntnisreichen und lesenswerten Monographie. Die Autorin verfügt über die besondere Gabe, durch ihren ansprechenden Schreibstil zum Lesen zu animieren, was auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft keine Selbstverständlichkeit ist. Das Buch zeichnet sich durch seinen logischen Aufbau aus. Das Datenmaterial wird dem Leser sehr systematisch und gründlich, aber zugleich interessant dargeboten. Dieses Buch vermittelt ein übergreifendes Wissen zur Kenntnis und Gebrauch vonGermanismen und zugleich zum Stand des Gebrauchs von Stadtmundarten in den untersuchten Städten. Daher sei seine Lektüre nachdrücklich empfohlen.