Die Monographie von Weronika Grzebalska, die 2013 durch das Institut für Literaturforschungen der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau herausgegeben wurde, ordnet sich ganz klar in die seit 2006 zu beobachtende Forschungstendenz ein, den Warschauer Aufstand und den Zweiten Weltkrieg im Allgemeinen im Kontext der Erinnerungskultur von polnischen Frauen zu sehen. Das Hauptziel des rezensierten Werkes ist, die Geschichte des Warschauer Aufstandes „aus feministischer Sicht neu zu entwerfen". Dazu reicht es laut Aussage der Autorin jedoch nicht aus, die „Frauen" zum Geschichtsbild des WA hinzuzufügen, sondern „man muss das Bild neu malen, um dabei die Grundzüge der Analyse zu ändern und neue Fragestellungen zu entwickeln. Solch eine Fragestellung beinhaltet vor allem die Frage nach dem Geschlecht: Wie wurde zum gegebenen Zeitpunkt Männlichkeit und Weiblichkeit konstruiert und wie wurden diese benutzt, um verschiedene gesellschaftliche Wirklichkeiten zu erzeugen und zu legitimieren" (S. 17).
Die Stärke und das Innovative an der Arbeit liegt in der Herangehensweise der Autorin, den bis dahin beherrschten Forschungsansatz, den Warschauer Aufstand allein aus national-politischen Gesichtspunkten zu sehen, zu durchbrechen und den Begriff des Geschlechts als Analysegegenstand anzuwenden. Dabei wertete die Autorin unzählige Interviews aus, die sie mit am Warschauer Aufstand beteiligten Frauen durchführte, genauso wie Zeitzeugeninterviews aus dem historischen Archiv für Oral History des Museums des Warschauer Aufstandes (Archiwum Historii Mówionej Muzeum Powstania Warszawskiego). Daneben griff sie ebenfalls auf deren Erinnerungsberichte, Presseartikel [1], Militärdokumente und von der militärischen Führung des Aufstandes verfasste Aufrufe an die Bevölkerung Warschaus zu.
Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel. Im ersten Kapitel werden zum einen die Defizite und das "Nicht-Vorhanden-Sein" von Frauen im Warschauer Aufstand in der Forschungsliteratur und in polnischen Schulbüchern aufgezeigt. Zum anderen werden darin die Methoden und Fragestellungen der Autorin beschrieben. In dem nachfolgenden Kapitel widmet sich die Autorin den Entstehungsbedingungen des kollektiven Bildes über den Krieg, der sowohl in der Zweiten Polnischen Republik wie auch später im besetzten Polen und während des Warschauer Aufstandes als "männliche Sache" angesehen wurde. Frauen erfüllten dabei eine untergeordnete Rolle und wurden in der Regel mit der Rolle der „nachtrauernden" Mutter oder Verlobten in Verbindung gesetzt. Das dritte Kapitel der Monographie befasst sich mit den „praktischen Gegebenheiten" des kollektiven Bildes über den Krieg. Eine zentrale Rolle spielen dabei die gegensätzlichen Ansichten über ein Sexualleben unter den männlichen und weiblichen Widerstandskämpfern, in denen die sexuelle Freiheit des Mannes und die Tabuisierung von sexuellen Handlungen unter Frauen vertreten wurden. [2] Im letzten Kapitel stellt die Autorin die Hauptaufgaben von Frauen im Warschauer Aufstand vor, die sich vor allem aus dem Sanitäts-, Funk-, und Aufklärungswesen zusammensetzten. Jedoch behandelt sie ebenfalls Fälle, in denen Frauen „mit der Waffe in der Hand gegen den Feind kämpften", unterstreicht dabei aber auch, welche Nachteile und negativen Auswirkungen dies für die Frauen selber haben konnte. [3]
Eine Schwäche der vorliegenden Arbeit besteht unweigerlich in der begrenzten Auswahl an Zeitzeuginnen, die alle aus dem Milieu der „Heimatarmee" (AK) kommen und dadurch die gesellschaftliche Schicht der Intelligenz verkörpern. Nicht zu Wort kommen dadurch die unzähligen Zivilistinnen, Soldatinnen anderer Organisationen, Jüdinnen und Arbeiterinnen. Die Einbeziehung dieser Gruppen in die Analyse hätte die Sicht und womöglich die Forschungsergebnisse erweitert und in einer breiteren Perspektive zeigen können. D In meisten von Grzebalska analysierten Fällen bestätigten die Frauen das während dem Warschauer Aufstand vorherrschende „Gender-Bild" und empfanden dieses als „natürlich": Die Männer sollten den aktiven Kampf mit der Waffe führen, Frauen hingegen eine helfende und unterstützende Funktion erfüllen. Zwar räumt die Autorin einige gegensätzliche Meinungen von Widerstandskämpferinnen ein, die eine klare Kritik an diesem von Männern vorherrschenden Bild übten und sich zum Teil mit Erfolg dafür einsetzten, „mit einer Waffe in der Hand" im Aufstand mitzukämpfen. Doch selbst bei diesen Frauen konnte die Autorin eine sehr starke Identifizierung mit den männlichen Werten beobachten, die sogar zu einem „Ablegen ihrer Weiblichkeit" führte.
Diese Schwäche wird jedoch zum Teil mit den positiven Merkmalen der Arbeit kompensiert. So muss die bereits erwähnte Tatsache als positiv bezeichnet werden, mit dem Buch von Frau Grzebalska das Forschungsdesiderat einer Geschichte der Frauen im Warschauer Aufstand teilweise zu füllen. Unweigerlich werden hierfür jedoch mehr Studien benötigt. Wie die Autorin selbst anmerkt, fehlt nach wie vor eine Studie zum männlichen Geschlechtsgegenstand im Warschauer Aufstand. In diesem Zusammenhang ist das vorliegende Buch ein positiver und wegbereitender Ansatz.
Ein weiteres positives Merkmal der Arbeit besteht in der Einbeziehung der Zwischenkriegszeit und der Besatzung Polens in die Analyse und eine Skizzierung der Entstehungsbedingungen des „Gender-Bildes" [4]. Aufgrund dessen fällt es leicht, die Entwicklung und Anwendung des bereits in den polnischen Aufständen des 18. Jahrhunderts entworfenen Bildes von Männern und Frauen im Krieg sehr gut nachzuvollziehen und einzuordnen. Auch aus diesem Grund ist Weronika Grzebalskas Monographie eine enorme Bereicherung für die Forschungsliteratur über den Warschauer Aufstand.
[1] Die Autorin begrenzte sich auf die auflagestärksten Zeitungen, die während des Warschauer Aufstandes herausgegeben wurden. Dazu gehörte das „Biuletyn Informacyjny"; „Robotnik"; „Walka" und vereinzelt andere Zeitungen (S. 20).
[2] Es besticht dabei die Tatsache, dass unter den Männern des Warschauer Aufstandes selbst sexuelle Handlungen mit deutschen Frauen nicht bestraft und in einer gewissen Weise „toleriert" wurden. Hingegen forderte man von den polnischen Widerstandskämpferinnen eine strenge Selbstbeherrschung in dem Ausleben ihrer Sexualität und verurteilte sie schon für körperliche Beziehungen mit polnischen Soldaten (S. 50).
[3] Frauen, die sich aktiv am Kampf gegen die deutschen Besatzer beteiligten, wurde oftmals das Nichterfüllen ihrer Rolle als Frau unterstellt und dadurch diskriminiert.
[4] Mit dem Begriff des „Gender-Bildes" meint die Autorin das Bild, welches in der polnischen Gesellschaft zur Zeit der deutschen Besatzung Polens über die Rolle von Frauen und Männern entworfen wurde.