Das Zeitalter des Barock war bekanntlich von einer starken Jenseitsorientierung geprägt. Vanitas-Motive in der Kunst erreichten ihren Höhepunkt. Ausgangspunkt der vorliegenden Publikation ist die Beobachtung, dass dieses Phänomen in der polnisch-litauischen Adelsrepublik des 17. Jahrhunderts zu einer unvergleichlichen Blüte gelangte. Die Autorin geht den Gründen und Einflussfaktoren nach und strebt eine Synthese der in Polen-Litauen verbreiteten visuellen Kulturen des Todes an.
Als Forschungsdesiderat konstatiert Koutny-Jones, dass englische Memento-mori-Publikationen sich vor allem auf Westeuropa und das Mittelalter beziehen [1]. Die Autorin hingegen plädiert – mit Thomas DaCosta Kaufmann – für eine stärkere Einbindung von Mittel- bzw. Ostmitteleuropa in die westliche Forschung, da das polnisch-litauische Großreich eine wichtige Drehscheibe für künstlerische Entwicklungen war.
Das Buch basiert auf einer am King's College der Universität Cambridge entstandenen kunsthistorischen Dissertation. Der Hauptteil ist in fünf Großkapitel gegliedert, von denen sich die Kapitel 2 bis 5 je einem bestimmten visuellen Aspekt der Memento-mori-Kulturen widmen. Das erste Kapitel führt umfassend in deren Rahmenbedingungen ein. In der Zeit zwischen 1569 und 1795, besonders im 17. Jahrhundert, erlebten Werke mit Todesthematik einen enormen Aufschwung. Als Faktoren dafür benennt die Autorin das Wirken von Akteuren wie Auftraggebern oder Mäzenen sowie von Ereignissen wie der Gegenreformation, der Revolution des Buchdrucks sowie sozialer Traumata wie Kriegen und Seuchen. Die einleitende These lautet, dass an diesem Ort zu dieser Zeit eine in allen Lebensbereichen verwurzelte Neigung zur kontemplativen und memorativen Betrachtung von Sterben und Tod bestand. Dies habe sowohl auf kirchlich-religiöser Ebene als auch in künstlerischen Praxen seinen Ausdruck gefunden. Die Autorin beschreibt den von ihr gewählten Zugang als einen ganzheitlichen, der die Ikonographie der Bildquellen (zum Teil auch in Kombination mit Textquellen) mit Fragen nach ihren Entstehungskontexten und sozialen Funktionen verknüpft (S. 8–9). Sie nutzt dazu vielfältiges Material aus der Architektur über die Druckgraphik bis hin zu angewandten Künsten und Elementen der Festkultur. Aus diesem Grund benutzt sie im Buch den weit gefassten Begriff der „visuellen Kulturen".
Die besonderen Förderer dieser Kulturen waren der vermögende Adel und das wohlhabende Bürgertum, die ideell wiederum von der katholischen Kirche unterstützt wurden. Viele adlige Geistliche waren zum Beispiel Vorreiter in der Errichtung aufwändiger Grabkapellen. Die gegenreformatorischen Lehren, insbesondere der Jesuiten und Bettelorden, zogen vermehrt Darstellungen nach sich. Auch der Buchdruck hatte Einfluss auf diese Entwicklung: Illustrierte Ars-moriendi-Traktate wirkten modellhaft auf Darstellungen in anderen Medien. Epidemien, Kriege und Krisen Mitte des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts bildeten ebenfalls eine äußerst wirksame Inspiration für todesbezogene Darstellungen, insbesondere die schwedische Invasion (poln. potop szwedzki) 1655–60, der Große Nordische Krieg sowie die Teilungen Polens (1795 wurde der Totentanzzyklus an den Wänden der Friedhofskapelle in Zambrów vollendet, der u.a. einen Aufständischen des Kościuszko-Aufstandes mit der charakteristischen konfederatka-Mütze zeigt).
In den folgenden Kapiteln stellt die Autorin die visuellen Phänomene vor, die die Auseinandersetzung mit dem Tod widerspiegeln. Viele davon traten – zumeist früher – im gesamten europäischen Raum auf (z. B. Knochenmann, Totentanz). Andere zeigten spezifische Ausprägungen in der Rzeczpospolita (Sargporträts, Kuppel-Grabkapellen).
Das Motiv des Knochenmanns (Kap. 2) als personifizierter Tod erscheint vor allem im gedruckten Bild. Man folgte dem Skelett-Typus, der ursprünglich aus anatomischen Lehrschriften stammte (z. B. bei Andreas Vesalius). Beliebt war auch das Motiv des „melancholischen Todes".
Der Totentanz (Kap. 3) kam in Polen-Litauen erst im 17. Jahrhundert zur Geltung. An ein lokales Publikum angepasst, traten dort Elemente der Adelstracht o.Ä. hinzu. Eine regionale Neuerung zeigt der erste polnische Totentanz in der Krakauer Franziskanerkirche, dessen Text im Anhang der Publikation wiedergegeben wird. Dieser impliziert mit neu eingefügten Figuren des Juden und des Osmanen, die Vertretern verschiedener Orden gegenüber platziert sind, eine klare Hierarchie.
Ein Massenphänomen unter den wohlhabenden Familien waren die „triumphalen" Begräbniskulturen (Kap. 4). Diese wurden vom Ende des 16. bis ins 18. Jahrhundert hinein immer theatralischer und näherten sich als adliges Statussymbol dem königlichen Zeremoniell an. Ziel des Adels und des imitierenden Bürgertums war es vor allem, den Status der Person und des Geschlechts zu erhöhen. Neben Begräbnisprozessionen waren die Totenmesse und die symbolische Ausschmückung der Kirche mit einem Katafalk bzw. „castrum doloris" nach dem Vorbild von König Sigismund II. August (gest. 1572) wichtig. Das Sargporträt gilt als spezifisch polnische Errungenschaft. Es stellte die offensichtlichste Verknüpfung der Vorstellung von irdischem und himmlischem Leben sowie der Totenrepräsentation dar. Zur Klassifikation von Sargporträt-Typen hätte sich neben den von der Autorin gezeigten Beispielen im Nationalmuseum in Poznań eventuell noch ein Blick in andere Sammlungen (z. B. die größte ihrer Art in Wilanów) angeboten.
Nur selten erhalten sind textile Grabfahnen – manchmal als eigenständiges Epitaph, manchmal als Teil eines Gedenkkomplexes konzipiert. Ergänzend zu den Ausführungen der Autorin ist zu erwähnen, dass Grabfahnen nicht nur in der Rzeczpospolita beliebt waren. Auch im Herzogtum Preußen und in Norddeutschland finden sich zahlreiche Beispiele, sowohl bei Katholiken als auch bei Protestanten und Orthodoxen [2].
Der Wunsch nach dauerhafter und öffentlich sichtbarer Memoria führte bei der vermögendsten Schicht zwischen 1520 und 1620 zum Bau von ca. 130 überkuppelten Grabkapellen (Kap. 5). Sie sollten mit ihrem öffentlichen Devotionscharakter dem Seelenheil ihrer Stifter dienen. Die Kuppel sei als bewusste visuelle Anspielung symbolisch mit dem Heiligen Grab und dem Auferstehungsgedanken verknüpft (S. 167). Zur Genese des Bautyps führt die Autorin u.a. die römischen Rundtempel an. Auch die Verbreitung durch Vitruv spielte eine Rolle. Zugleich wurden Formen aus frühchristlichen Heiligtümern übernommen. Wiederbelebt wurde die Form in der ostmitteleuropäischen Renaissance durch die Bakócz-Kapelle in Esztergom (1506–07) und die Sigismundkapelle auf dem Wawel (1519–31). Sie waren die Auslöser für alle weiteren Grabkapellen in Polen-Litauen ab den 1590er Jahren. Koutny-Jones folgt hierbei den wichtigsten Publikationen zu diesem Thema [3]. Insbesondere wäre im Zusammenhang der Grabkapellen noch der Typus der Transeptkapelle (poln. kościol krzyżowo-kopułowy) zu nennen. Dieser bildete sich im Zuge des gegenreformatorischen Ritus heraus [4]. Nach Koutny-Jones stellten die Grabkapellen die engste Form des Zusammenwirkens von Adel und Kirche im Hinblick auf das Memento-mori-Motiv dar. Anhand der Kapellenbauten entkräftet die Autorin das zuweilen noch kursierende Diktum einer linearen Verbreitung künstlerischer Phänomene von West nach Ost als vom Zentrum in die Peripherien, „among them Central Europe" (S. 209). Vielmehr handelte es sich dabei um einen wechselseitigen und längerfristigen Transferprozess.
Die Hochkonjunktur der Grabkapellen fiel zusammen mit der Errichtung von „Sacri Monti" – in Anlehnung an Jerusalems heilige Stätten. Die Kalvarienberge dienten als geographisch und sprachlich leicht zugängliche Pilgerstätten und als Schauplatz für Passionsspiele (z. B. Kalwaria Zebrzydowska bei Krakau [5].
Die Autorin fasst zusammen, dass die Memoria-Kultur im frühneuzeitlichen Polen-Litauen durch das Zusammenwirken des starken Adels mit der katholischen Kirche außergewöhnlich und extravagant war. Dies allein wäre allerdings ein etwas mageres Ergebnis. Darüber hinaus erörtert sie jedoch auch die einzelnen Merkmale der öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen im Umgang mit dem Totengedächtnis. Einige Tendenzen reichten bis ins Exzentrische hinein, z. B. wenn ein Archimimus [6] des Verstorbenen während der Begräbnisfeier in die Kirche geritten kam (S. 129) oder dieser als lebensgroße hölzerne Figur vertreten war (z. B. Stefan Czarniecki zu Pferd, Czarnca, Pfarrkirche, 1665).
Die Arbeit schöpft aus einem reichen Materialfundus, der anschaulich analysiert und verglichen wird. Positiv zu vermerken ist, dass in dem Buch auch entlegene Quellen berücksichtigt werden, wie z. B. Illustrationen in Gelegenheitsschriften. Des Weiteren beleuchtet die Autorin mit Fallbeispielen adliger Frauen (Zofia Wielkopolska, Brygida Czapska, Gryzelda Wiśniowiecka, Anastazja Witkowska) den selten betrachteten Aspekt weiblicher adliger Memoria-Kultur, die sich von der männlichen vor allem in den gepriesenen Tugenden bzw. in der Charakterisierung der Verstorbenen durch die Verdienste des Ehemannes unterschied. Durch die Publikation in englischer Sprache wird dieses wichtige Thema Polen-Litauens in den Fokus der (west-)europäischen Forschung gerückt und kann dadurch auch eine große Leserschaft erreichen. Der Anspruch eines „ganzheitlichen Zugangs" von Ikonographie und den Gründen ihrer Herstellung überzeugt hingegen nicht. Die beiden Aspekte gehören für eine vollständige Analyse ohnehin zusammen. Die von der Autorin erörterten Einflussfaktoren und die systematisch zusammengetragenen visuellen Phänomene stehen manchmal etwas zusammenhanglos nebeneinander. Die Frage, warum die „visuellen Kulturen des Todes" in der polnisch-litauischen Adelsrepublik im 17. Jahrhundert so stark ausgeprägt waren, wird im Prinzip schon im einführenden Kapitel beantwortet und danach nur mit Beispielen unterfüttert.
Einen weiteren – und in einer kunsthistorischen Arbeit nicht marginalen – Kritikpunkt stellen die Abbildungen dar. Sie stammen zum Großteil von der Autorin selbst, was grundsätzlich zu begrüßen ist, da sie die Auseinandersetzung mit den Objekten vor Ort belegen. Jedoch wären professionelle Aufnahmen oder zumindest eine bessere Bildbearbeitung wünschenswert gewesen, zumal es sich um selten publizierte Objekte handelt. Eine ungünstige Perspektive oder mangelnde Schärfe beeinträchtigen die Rezeption durch den Leser (z. B. Fig. 30, 34, 37).
Trotz struktureller Schwächen ist die Arbeit für Kunst- und Kulturhistoriker lesenswert. Sie gewährt einen guten Einstieg in den „Totenkult" der polnisch-litauischen Adelsrepublik – und damit in eine wichtige Facette der frühneuzeitlichen europäischen Memoria-Kultur.
[1] Z. B. Binski, Paul, Medieval Death: Ritual and Representation, London 1996. – Gordon, Bruce and Peter Marshall, eds., The Place of the Dead: Death and Remembrance in Late Medieval and Early Modern Europe, Cambridge 2000. – Kinch, Ashby, Imago Mortis: Mediating Images of Death in Late Medieval Culture, Leiden and Boston 2013. – Gertsman, Elina, The Dance of Death in the Middle Ages: Image, Text, Performance, Turnhout 2010. – Sherrer, Thomas, Boase Ross, Death in the Middle Ages: Mortality, Judgment and Remembrance, London 1972.
[2] Vgl. Kozina, Irma, Ostrowski, Jan K., Grabfahnen mit Porträtdarstellungen in Polen und in Ostpreussen. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 55 (2) 1992, S. 225–255.
[3] Insbesondere: Łoziński, Jerzy Z., Grobowe kaplice kopułowe w Polsce 1520–1620, Warszawa 1973.
[4] U.a. Krasny, Piotr: Krzyżowo-kopułowe kościoły mauzolea w Polsce w pierwszej połowie wieku XVII. In: Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellonskiego, Prace z Historii sztuki 140/20 (1992), 25–52. – Gryglewski, Piotr: Vetusta Monumenta. Szlacheckie mauzoleum od połowy XV do XVII w. . Łódź 2002 (Sztuka Polski Środkowej, Katedra Historii Sztuki UŁ).
[5] Erstaunlicherweise wird die nicht weniger bekannte, von dem Adligen Jakub von Wejher 1649 gestiftete „Kalwaria Wejherowska" in Wejherowo (dt. Weyersfrey/Neustadt) im Königlichen Preußen nicht genannt.
[6] Ein sogenannter „Archimimus" gehörte zum Theatrum funebris dieser Epoche. Der ritterlich gekleidete Darsteller ritt in die Kirche, stürzte dort zu Boden und zerbrach symbolisch eine Lanze über dem Sarg. http://www.wilanow-palac.pl/smierc_rycerska_w_kulturze_sarmackiej.html (05.06.2016).