Historische Museen als Bestandteil und wichtiges Medium von Erinnerungskultur und Geschichtspolitik sind oft Gegenstand öffentlicher Debatten. Die politische Auseinandersetzung um das neu gegründete Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig überschritt jedoch die Grenzen einer demokratischen, öffentlichen Debatte und zeigte mit aller Deutlichkeit, mit welchen Mitteln die in Polen regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) ihre nationalistische Geschichtspolitik umsetzt. Der umkämpfte Krieg ist eine Art Verteidigungsrede des polnischen Historikers und des ehemaligen Direktors des Museums, Paweł Machcewicz, eine Antwort auf politisch motivierte Vorwürfe, ein Tagebuch des Untergangs seines Museumsprojektes und der Schädigung seiner wissenschaftlichen Karriere. Gleichzeitig ist das Buch eine wichtige Stimme in der Debatte darüber, wie die Geschichte Polens erzählt werden soll, und wie sich Polen dabei in der europäischen Gemeinschaft positioniert.
Das Buch ist chronologisch angelegt, wobei schon das erste kurze Kapitel mit dem aussagekräftigen Titel „Paweł ist ein toter Mann" die Atmosphäre um die Museumsgründung ankündigt. Das Museumsgebäude wurde in Danzig neu entworfen, ausschließlich aus polnischen Steuergeldern erbaut und im Januar 2017 überstürzt eröffnet. Zunächst widmet sich Machcewicz der Entstehungsidee des Museums und ersten organisatorischen Hürden. In den Abschnitten „Die Anfänge" und vor allem „Wie das Museum entsteht" finden nicht nur PolenhistorikerInnen viele interessante Einblicke in die Museumsarbeit, wie zum Beispiel in den Entstehungsprozess der Sammlungen und in die Debatten des Programmbeirats. All das wird jedoch durch den politischen Kampf um das Museum überschattet, den Machcewicz im Kapitel „Krieg" beschreibt und der die zweite Hälfte des Buches füllt. Beigefügt wurden Abbildungen von Teilen der Museumsausstellung.
Die extreme Politisierung der Entstehungsgeschichte des Museums ist Leitthema des Buches. Dabei wurde das Museum zum Politikum, noch bevor die PiS ihre Angriffe startete, denn das ursprüngliche und im Laufe der Auseinandersetzungen vergessene Entstehungsmotiv war die polnische Reaktion auf das seit 1999 in Deutschland geplante, umstrittene Zentrum gegen Vertreibungen. [1] Machcewicz argumentierte, dass Polen anstelle eines Protests gegen das Zentrum eher „eine eigene Erzählung über den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen" erarbeiten sollte (S. 7). Der spätere Vorwurf aus Regierungskreisen, das Museum repräsentiere die Interessen deutscher Geschichtspolitik, kann von diesem Hintergrund kaum nachvollzogen werden. Der damalige Ministerpräsident Donald Tusk unterstützte das Konzept des neuen Museums, und genau das wurde dem Museum nach dem Regierungswechsel 2015 zum Verhängnis, da die PiS es zu einem „polenfeindlichen" Projekt der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) stilisierte.
In Vorbereitung auf die Durchführung des Vorhabens wurde ein Programmbeirat aus etablierten polnischen und internationalen HistorikerInnen (u.a. Norman Davies, Timothy Snyder, Israel Gutman) einberufen. Machcewicz und seine MitarbeiterInnen besuchten viele andere Museen, und entschlossen sich, das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel zum Vorbild zu nehmen, um die Geschichte des Zweiten Weltkriegs unter Berücksichtigung der Verbrechen gegen die europäische (und nicht nur die polnische) Zivilbevölkerung – die so genannte „Schicksalsgemeinschaft der Opfer" (S. 109) – zu präsentieren. Die Geschichte Polens sollte durch Vergleiche mit analogen Erfahrungen aus anderen Ländern als Teil der europäischen Geschichte präsentiert werden, die auch für einen „Touristen aus Portugal" verständlich wäre (S. 80).
Diese Perspektive wurde von rechtsnationalen Kritikern vehement angegriffen. Sie beklagten, so Machcewicz, „das Fehlen eines ‚polnischen Standpunkts'" (S. 1) und mangelnde „polnisch-nationale Sensibilität" (S. 148), kritisierten den vermeintlichen „Kosmopolitismus" (S. 2) und „Pseudouniversalismus", der den Interessen Berlins und Brüssels dienen solle (S. 12), schließlich unterstellten sie der Museumsleitung eine „Desintegration der polnischen Nation" (S. 1) und eine „schwere Schädigung Polens" (S. 25). In zahlreichen von Machcewicz zitierten Zeitungsartikeln und öffentlichen Aussagen seiner Kritiker fallen Sätze wie: „Wir erwarten Respekt vor unserer Geschichte" (S. 22), das Schicksal von Polen sei mit dem anderer Länder nicht vergleichbar (S. 29), polnische „Verdienste" seien im Museum in Frage gestellt worden (S. 153) oder auch Vorwürfe, „ob das Museum ein kosmopolitisches Museum sein soll, in dem uns britische, amerikanische Historiker erzählen sollen, wie wir Polen uns den Zweiten Weltkrieg vorzustellen und wie wir ihn darzustellen haben" (S. 143 f.).
Der Streit um das Museum verdeutlicht, dass es nicht nur darum geht, wie eine historische Ausstellung über den Zweiten Weltkrieg konzipiert werden, sondern auch, welche Rolle die Geschichte in nationalen Identitätsdiskursen spielen soll. Machcewicz betont unmissverständlich: „Für mich ist es nicht die Rolle eines Museums, eine prophetische Wahrheit zu verkünden, über die nicht diskutiert werden darf." Ein Museum müsse bilderstürmerisch sein, es müsse provozieren und vor allem kontroverse Themen berühren, festgefügte gesellschaftliche Vorstellungen in Frage stellen (vgl. S. 111, 113). Als Machcewicz auf der Sitzung des Kulturausschusses des Sejm 2016 erneut angegriffen wurde, betonte er: „Sie haben kein Monopol auf die polnische Identität, Sie haben kein Monopol auf Patriotismus" (S. 151).
Doch die Regierung bewies das Gegenteil. Im April 2017, drei Monate nach der provisorischen Eröffnung des Museums, wurde Machcewicz fristlos gekündigt. Auch einige seiner MitarbeiterInnen verloren ihre Anstellungen. Der neue Direktor, Karol Nawrocki, verordnete mehrere Änderungen im Ausstellungskonzept des Museums. So ließ er etwa die Angaben der Partisanenzahlen in Jugoslawien und in der Sowjetunion entfernen, weil sie höher als die polnischen waren. Auch die Gesamtopferzahlen des Zweiten Weltkriegs wurden „korrigiert": damit die höchsten Opferzahlen in Deutschland und der Sowjetunion die polnischen Opfer nicht in den Schatten stellten, wurden sie einfach entfernt. [2] Machcewicz wurde zudem die Verschwendung öffentlicher Gelder vorgeworfen, seine Wohnung wurde von Beamten des Zentralen Antikorruptionsbüros durchsucht [3]. Daraufhin reichte Machcewicz mehrere Klagen ein – wenn auch sein Glaube an eine unabhängige Justiz im heutigen Polen schwindet: „Es ist freilich ungewiss, wie lange es in Polen noch unabhängige Gerichte geben wird, doch man wird sich immer noch an europäische Gerichte wenden können". (S. 225)
Bei dem Buch handelt es sich also um einen Erfahrungsbericht, und nicht um ein klassisch wissenschaftliches Werk. Dabei neigt man dazu, die Politik der aktuellen polnischen Regierung, und nicht das Buch selbst zu rezensieren. So könnte bei der Besprechung des Buches die eine oder andere Wiederholung bemängelt, oder auch hinterfragt werden, warum Machcewicz in seinem Buch auf Selbstreflexion verzichtet. Doch angesichts der politischen Atmosphäre um seine Person ist es nachvollziehbar, warum es nicht im Interesse des Autors liegen kann, der regierenden Partei eine Art „Selbstkritik" für sein Fehlverhalten zu liefern. Der unbestrittene Wert des Buches liegt in der genauen Darstellung der geschichtspolitischen Debatten in Polen, ihrer Argumente, Sprache und Protagonisten. Es ist eine Pflichtlektüre für alle, die verstehen wollen, was es bedeutet, als Zeithistoriker in einem Land zu arbeiten, dessen Regierung sich nicht davor scheut, Zeitgeschichte für politische Zwecke zu missbrauchen.
[1] Siehe die Internetpräsenz des Zentrums, http://www.z-g-v.de/ [18.1.2019].
[2] Das Danziger Weltkriegsmuseum droht ein «kleinkariertes nationalistisches Zentrum» zu werden. Interview von Judith Leiser mit Paweł Machcewicz vom 13.7.2018, in: Neue Zürcher Zeitung, https://www.nzz.ch/feuilleton/das-danziger-weltkri... [18.1.2019].
[3] Piotr Olejarczyk: CBA w domu byłego dyrektora MIIWŚ. Agenci: zajrzeliśmy przy okazji. In: Internetportal onet.pl, 29.11.2017, https://trojmiasto.onet.pl/cba-w-domu-bylego-dyrek... [18.1.2019].