Verlag | Narodowa Oficyna Śląska |
Erscheinungsort | Zabrze |
Seitenzahl(en) | 196 |
Sprache | Englisch |
ISBN: 9788360540220
- Linguistik, Politikwissenschaft
- Polski
Ślōnsko godka. The silesian language
Verlag | Narodowa Oficyna Śląska |
Erscheinungsort | Zabrze |
Seitenzahl(en) | 196 |
Sprache | Englisch |
ISBN: 9788360540220
Ślōnsko godka. The silesian language
Übergeordnetes Thema des besprochenen Bandes sind die Entwicklung der sprachlichen Situation sowie die Sprachpolitik in Schlesien. Versammelt sind elf Aufsätze und Essays, die bis auf eine Erstpublikation Nachdrucke der vergangenen fünf Jahre sind.
Intention der Veröffentlichung ist die Fortsetzung der 2005 und 2006 erschienenen zweibändigen Aufsatzsammlung „Schlonzska mowa“. Der Verfasser, Tomasz Kamusella, lehrt und forscht an der historischen Fakultät der schottischen Universität St. Andrews und beschäftigt sich nach eigenen Angaben seit Beginn der 1990er Jahre mit der schlesischen Problematik. Deren Brisanz zeigte sich zuletzt beim jüngsten polnischen Zensus (2011), als sich 847.000 Bürger primär oder sekundär zur schlesischen Nationalität bekannten. Zuvor hatte der PiS-Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński die schlesische Nationalität als „getarnte deutsche Option“ bezeichnet.
Das Verhältnis des Schlesischen zum Deutschen ist einer der Aspekte, die in der vorliegenden Veröffentlichung berührt werden. Der Zugang des Autors ist dabei – wie auch im gesamten Band – kein systemlinguistischer, sondern ein historisch-politischer, so dass der an Sprachstrukturen interessierte Leser auf andere Publikationen zu verweisen ist. [1] Zu beachten ist darüber hinaus, dass Kamusella selbst „pro-schlesischer“ Aktivist ist und daher mitunter seine eigenen sprachpolitischen Initiativen schildert.
Die komplementäre Verbreitung der Sprachloyalität autochthoner Schlesier zum Deutschen (vor allem in der Wojewodschaft Oppeln) und zum Schlesischen (vor allem in der Wojewodschaft Kattowitz) erklärt der Autor politisch: Wegen der unterschiedlichen staatlichen Zugehörigkeit in der Zwischenkriegszeit konnten autochthone Westoberschlesier nach dem Zweiten Weltkrieg den deutschen Pass erhalten, Ostoberschlesier dagegen nicht (S. 184). Infolge des Polonisierungsdrucks zur Zeit der Volksrepublik Polen werde heute aber selbst in der organisierten deutschen Minderheit überwiegend das Schlesische, nicht das Deutsche, als Alltagssprache verwendet, wie eine Studie japanischer Forscher belege (S. 187). Sprachpolitisch sollten dem Verfasser zufolge deutsche Minderheit und schlesische Bewegung nicht konkurrieren, sondern zusammenarbeiten und sich für bilinguale und deutschsprachige Schulen einerseits, Schlesisch als Unterrichtsfach andererseits einsetzen (S. 188f).
Hinsichtlich des zuletzt genannten Aspekts befürchtet Kamusella, dass die Kinder wohl noch nicht geboren seien, die in der Schule eine schlesische Standardsprache erlernen könnten (S. 154). Zugleich schildert er jüngere Ereignisse und Entwicklungen, die aus seiner Sicht für die Etablierung des Schlesischen sprechen: Zunächst seien 2008 auf einer Konferenz in Kattowitz Politiker und Wissenschaftler übereingekommen, dass es das Schlesische gebe, ohne sich aber definitorisch einig zu sein (S. 91; über diese Debatte hätte man gern mehr erfahren). Auf einer weiteren Konferenz ein Jahr später wurde eine Orthographie beschlossen; des Weiteren erschienen zwei schlesischsprachige Fibeln sowie ein dreibändiges polnisch-schlesisches Wörterbuch (S. 170).
Bei aller Freude, die Kamusella als Aktivist in der schlesischen Sache über die Kodifizierungsbemühungen äußert, verliert er auch die Gefahren dieser Entwicklung nicht aus den Augen. Er plädiert gerade für die Frühphase der schlesischen Standardisierung dafür, ein breites Spektrum sprachlicher Variation zuzulassen. Aus eigener Anschauung weiß er vom abschreckenden Beispiel Irlands zu berichten. Hier führte ein strenger Normativismus im schulischen Irischunterricht dazu, dass Dialektsprecher sich vom Irischen ab- und dem Englischen zuwandten (S. 66). Im polnischen Kontext nennt Kamusella das in nordpolnischen Schulen gelehrte Kaschubische als ähnlich gelagerten Fall einer „Entfremdung“ des Standards von den Dialekten (S. 157). Darüber hinaus warnt der Verfasser zu Recht davor, an der Etablierung eines schlesischen Standards zu arbeiten, ohne zugleich eine zeitgemäße Sprachprestige-Politik zu betreiben: Zukunft habe das Schlesische nur, wenn es nicht nur für folkloristische Gesänge und Erzählungen, sondern auch von populären Jugendzeitschriften, Metal- und Hiphop-Bands verwendet werde (S. 93). Ungeachtet dessen, dass dies z.T. bereits der Fall ist (vgl. etwa die auf Schlesisch im Stil von „Rammstein“ singende Rockband „Oberschlesien“), zeigt Kamusella allerdings keine Schritte auf, wie eine solche sprachliche Prestigepolitik in der Praxis aussehen könnte.
Als zwei weitere wichtige Schritte zur Etablierung einer schlesischen Standardsprache betrachtet der Verfasser die Freischaltung der schlesischsprachigen Wikipedia (2007) sowie die ISO-Registrierung des Schlesischen im selben Jahr (S. 91); an beiden Schritten war er beteiligt. Zu Recht werden Existenz und Umfang einer Wikipedia in einer gegebenen Sprachvarietät mittlerweile als wichtiger Indikator für die Polyvalenz dieser Varietät und damit ihre Entwicklung zu einer Standardsprache gesehen. Der Vorsprung des Schlesischen gegenüber dem Kaschubischen hinsichtlich der Wikipedia-Artikelzahl, den Kamusella noch 2008 konstatiert (S. 159), hat sich mittlerweile (Stand: Oktober 2013) in einen Rückstand verwandelt; allerdings ist die „reine“ Anzahl von Artikeln – ohne Blick auf deren Qualität und Umfang – ohnehin ein fragwürdiges Kriterium.
Mitunter recht weit weg vom Thema des Schlesischen führen Kamusellas – zweifellos interessante – Ausführungen zum weltweiten System der Vergabe von ISO-Normen für sprachliche Varietäten (u.a. S. 99-136). Der Verfasser wirft dabei einen kritischen Blick auf den evangelikalen Hintergrund der zuständigen Institution SIL (Summer Institute of Linguistics, S. 97, 99, 113). Dem SIL wirft Kamusella zudem vor, bei der Abgrenzung von ökonomisch „schwächeren“ Sprachen, vor allem Sprachen der Südhalbkugel, starr am strukturalistischen Kriterium wechselseitiger Unverständlichkeit festzuhalten; treffend zeigt er die Absurdität auf, die eine Anwendung dieses Prinzips auf die etablierten Sprachen Europas zur Folge hätte (S. 118-120). Angesichts dieser Kritik sowie der Tatsache, dass die Prozedur der ISO-Vergabe nur Spezialisten bekannt ist, erscheint allerdings die Bedeutung übertrieben, die Kamusella ihr für die Entwicklung des Schlesischen beimisst.
Insgesamt bietet der Band fundierte Einsichten in die sprachpolitischen Bemühungen, die in den vergangenen Jahren zur Statusverbesserung für das Schlesische unternommen wurden. Diese Einsichten entstehen z.T. auch durch die Rolle des Verfassers als „Identitätsunternehmer“, die sichtbar werden lässt, welche akademischen und ökonomischen Interessen mit der Aufwertung einer Varietät zur Standardsprache verbunden sind. (Manche Erwartungen Kamusellas zum Potenzial einer schlesischen Standardsprache erscheinen in diesem Zusammenhang allerdings überzogen.) Positiv hervorzuheben ist darüber hinaus die kenntnisreiche Darstellung der historisch-politischen Hintergründe für die sprachliche Entwicklung unter preußisch-deutscher, österreichischer, polnischer und tschechischer (bzw. tschechoslowakischer) Staatlichkeit.
[1] Vgl. für eine stärker systemlinguistische Perspektive etwa die Veröffentlichungen der Kattowitzer Sprachwissenschaftlerin Jolanta Tambor, z.B. „Oberschlesien – Sprache und Identität“,Hildesheim 2011. oder: „Ile śląskiego jest w śląskim?“ in: Gerd Hentschel (Hg.) 2013: Variation und Stabilität in Kontaktvarietäten. Beobachtungen zu gemischten Formen der Rede in Weißrussland, der Ukraine und Schlesien, Oldenburg 2013.